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drei bekannte Vornahmen bezeichnen will, die ich im folgenden kurz
beschreibe.
ı. Die magische Ansicht der Natur, die wir auch die natürliche
oder urwüchsige nennen können, besteht darin, daß man die Nalur
wie ein All-Lebendiges ansieht, daß man sie beseelt. Diese Ansicht
hatten auch die europäischen Völker in ihrer Frühzeit geteilt.
„Diese Höhen füllten Oreaden,
Eine Dryas wohnt in jedem Baum,
Aus den Urnen lieblicher Najaden
Sprang der Ströme Silberschaum. ;
Durch die Schöpfung floß da Lebensfülle ...“
Aber nicht nur das Volk und mit ihm die Dichter hatten so ge-
dacht: die ernsten Naturforscher waren keiner anderen Meinung.
Für Aristoteles ist das physikalische Gesetz, kraft dessen der Stein
fällt, der Ausdruck dafür, daß der Stein den „natürlichen Ort“ aller
Steine, das heißt die Erde, wiedergewinnt. In seinen Augen ist der
Stein nicht völlig Stein, solange er nicht an seiner normalen Stelle
sich befindet; im Zurückfallen an diesen Ort strebt er, wie ein Lebe-
wesen, das wächst, nach seiner Vervollständigung, nach voller Ver-
wirklichung des Wesens der Gattung Steine®. Und noch im 16. Jahr-
hundert denken sich Theophrastus Paracelsus und Joh. Bapt.
van Helmont die ganze Natur von Geistern und Dämonen bevölkert,
die auch in Steinen und Metallen hausen. Jeder Körper hat seinen
Spiritus; der Geist ist nach Paracelsus „das Leben und der Balsam
aller korporalischen Dinge‘; Luft und Wasser, Erde und Feuer
werden von Elementargeistern, von Sylphen, Undinen, Pygmäen und
Salamandern belebt. Von diesem Aberglauben der Alchimisten unter-
scheidet sich der phantastische Hylozoismus des Cardanus, des
Giordano Bruno und anderer Italiener des 16. Jahrhunderts nur
dem Grade nach: mystische Sympathien und Antipathien treiben die
Gestirne durch den Raum und halten die Körper im Gange.
Descartes vertreibt alle Spukgeister aus der Natur; er entzaubert
lie Welt; er kennt im Raume nur noch einen Substantia corporea et
$ Vgl. Bergson, Schöpferische Entwicklung (1912), S. 23a.