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Urdnung der Welt als „Gesetz‘“ und den ihm entsprechenden Ablauf
der Welt als „„Gesetzmäßigkeit‘“ zu bezeichnen.
Aus dem Sinnbereiche des Rechts und der Religionen ist der
Ausdruck dann in die philosophische Sprache übergegangen, um
damit die verbindliche Sittennorm mit der Würde der Unverletzlich-
keit zu bekleiden: die Gebote der Sittlichkeit heißen bei Kant!1e
Gesetze, weil sie „dem Willen kein Belieben in Ansehung des Gegen-
teils frei‘ lassen.
Zu einem naturwissenschaftlichen Fachausdruck wird das
Wort „Gesetz‘“ in der Zeit, als man noch an die „Gesetzmäßigkeit“
der Natur, das heißt an einen in der Natur sich auswirkenden gött-
Lchen Plan, glaubte. Als dann dieser Glaube abhanden kam, als man
die Natur „entgötterte‘, als man auf jede Annahme einer Gesetz-
mäßigkeit in der Natur verzichtete, ist — aus alter Gewohnheit —
der Ausdruck „Gesetz‘“ weiter verwandt worden, obwohl er allen
Sinn verloren hatte: man brauchte ihn jetzt, um etwas völlig
anderes, als er früher bezeichnete, damit auszudrücken, nämlich
Formeln, in die man Erfahrungssätze faßte, also „Regeln“. Es gab
von. nun an zwei grundverschiedene Bedeutungen des Wortes „Ge-
setz‘‘: Rechts-, göttliches, Sitten-Gesetz einerseits und Naturgesetz
andererseits, die nicht mehr miteinander zu tun haben als das Schloß
am Meer und das Schloß an der Tür, die auch beide denselben Namen
tragen.
Auf die Kulturvorgänge und mit besonderer Vorliebe die Wirt-
schaft ist dann das Wort in seiner doppelten Bedeutung weiter
übertragen worden: die richtende Nationalökonomie nahm den Be-
griff des „Gesetzes‘“ auf.in seiner ursprünglichen Bedeutung, die
ordnende Nationalökonomie in seiner Bedeutung als Naturgesetz.
Die richtende Nationalökonomie hat, wie ich zu zeigen versucht
habe, eine Gesetzmäßigkeit der Wirtschaft angenommen, die sie in
ihrer Blütezeit religiös verankerte, um dann später, als mit dem
Gottesglauben der Glaube an eine göttliche Welt- (und Wirtschafts-)
ordnung gefallen war, einen planmäßigen Ablauf der Geschichte auf
sine sehr mysteriöse „Naturgesetzmäßigkeit‘“ zu begründen. In diesem
SA
416 Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. 2. Abschnitt.