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weiliger ist als die ‚richtende, trotzdem sie sich bescheiden in den
Grenzen echter Wissenschaft hält. Daß wir auch in vollendeter Weise
wissenschaftliche Systeme bilden können, ohne uns der Krücke der
Werturteile bedienen zu müssen, habe ich an anderer Stelle, wie ich
glaube, deutlich gemacht: siehe das zwölfte Kapitel.
Wenn nun also der Beweis erbracht ist, daß eine Wissenschaft
vom Wirtschaftsleben möglich ist, wenn wir mit Strenge darauf
halten, daß sich keine metaphysischen Bestandteile in unsere Er-
kenntnis einmischen, so bleibt doch noch die dritte Frage zu beant-
worten: sollen wir nicht, über das unvermeidliche Maß hinaus, also
aus freien Stücken eine metaphysische Nationalökonomie betreiben,
ist die richtende Nationalökonomie nicht doch vielleicht die höhere
Form?
Diese Frage enthält drei Fragen in sich. Die erste lautet: sollen wir
Wirtschaftsphilosophie, die etwas anderes ist als Wirtschaftswissen-
schaft, zum Gegenstande unseres Studiums machen? Diese Frage
bejahe ich, und ich werde im folgenden Kapitel selbst einiges darüber
bemerken, wie man sinnvoll eine solche Disziplin gestalten könnte.
Die zweite Frage lautet: sollen wir zugunsten der Wirtschaftsphilo-
sophie auf eine selbständige Wirtschaftswissenschaft verzichten? Diese
Frage verneine ich, weil ich in einem solchen Verzicht eine schmerz-
liche Verarmung unseres geistigen Lebens erblicken würde.
Die dritte Frage endlich lautet: sollen in die wissenschaftliche Na-
tionalökonomie metaphysische Brocken eingestreut werden, indem
man sie „ethisiert‘‘, das heißt mit Werturteilen durchsetzt, sollen in die
verstehende Nationalökonomie die Gedankengänge ‚der richtenden
Nationalökonomie verwoben werden? Diese Frage verneine ich eben-
falls mit aller Entschiedenheit: die wissenschaftliche National-
ökonomie soll „wertefrei‘ sein.
Der Streit um die „Wertefreiheit‘“ unserer Wissenschaft ist
ziemlich alt. Die neueren Historiker des Faches lassen ihn zwar meist
erst mit dem Aufsatz Max Webers aus dem Jahre 1905 beginnen.
Aber ihre Kenntnisse sind sehr unvollkommen. Der Streit hat ein
reichliches Menschenalter früher angefangen und sich namentlich in
der englischen, französischen und italienischen Literatur abgespielt.