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Was
Empirie
im Gegensatz zu Theorie sei, steht seit Aristoteles fest: es ist die
Erkenntnis des Besonderen, im Gegensatz zum Allgemeinen, oder wie
wir auch sagen können: die Erfassung und Darstellung des Wirk-
lichen, der Erscheinungen in Raum und Zeit. Immer, das muß betont
werden, handelt es sich um ein Gedankengebilde, ein Begriffssystem,
ainen Denkvorgang: die Erfahrungen werden vom Denken „auf-
gefaßt, zusammengenommen, geordnet und ausgebildet“ (Goethe).
Empirie, zu deutsch: wissenschaftliche Erfahrung, ist also
weder soviel wie Wirklichkeit noch soviel wie subjektives Erlebnis,
sondern immer schon ein „Erkenntnisinhalt, der auf Grund einer
denkenden Verarbeitung, Synthese, Deutung, Kritik des Wahr-
aehmungsmaterials in allgemeingültiger Weise erworben ist und die
Grundlage zu fortschreitender Erkenntnis bildet“, wie die schul-
gerechte Definition besagt. Empirie oder vernünftige Erfahrung ist
„Einfügung empirischer Feststellungen in einsichtig strukturierte
Erkenntnisgehalte. Was a priori feststeht, was erkenntnismäßig ge-
wonnen ‚wird, ist deshalb bindend für alle Erfahrung, welche ver-
nünftiges Bewußtsein macht‘. Von der Güte der Theorie hängt daher
die Fruchtbarkeit der empirischen Erkenntnis ab, wie die Ergiebigkeit
eines Fischzugs von der Güte der Netze: alle übrigen Bedingungen:
Fähigkeit des Fischers und Reichhaltigkeit des Fischgewässers natür-
lich gleichgesetzt!
Die Empirie im Bereiche der Kulturwissenschaften nennen wir
Geschichtswissenschaft.
Angesichts der Unbestimmtheit dieses Begriffes und in Anbetracht
der Wichtigkeit des Problems und der Notwendigkeit, es in einem be-
stimmten Sinne zu lösen, muß ich etwas ausführlicher bei der Frage
nach dem Sinne und der Aufgabe der Geschichtswissenschaft, ins-
besondere natürlich der Wirtschaftsgeschichtswissenschaft oder der
nationalökonomischen Empirie verweilen??.
17 In der Literatur ist das Problem der „Geschichtlichkeit‘“ und des Wesens
ler Geschichtswissenschaft im letzten Menschenalter namentlich von deutschen G6-
iehrten nachhaltig und leidenschaftlich erörtert worden. Außer den schon genannten
Schriften von Rickert, Windelband, v. Gottl, Eulenburg, Dilthey, Graf
York (siehe namentlich den Briefwechsel zwischen den beiden), Max Weber,