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Wollen wir zu einem einigermaßen gesicherten Urteile in dieser
außerordentlich verwickelten Frage gelangen, so müssen wir, wie mir
scheint, auch hier zunächst wieder die philosophische von der wissen-
schaftlichen Problemstellung trennen und alle Rätsel, die sich an den
transzendenten ‚Sinn‘ der Geschichte überhaupt knüpfen und deren
Lösung der Metaphysik vorbehalten ist, ausscheiden und uns an den
immanenten Sinn des geschichtlichen Geschehens halten. Dieses, das
müssen wir ferner bedenken, ist Wirklichkeit, ist Erscheinung in
Raum und Zeit, ist Leben, ist Wirkungszusammenhang. Deshalb
scheiden ebenfalls aus der Geschichtsbetrachtung alle Sinnzusammen-
hänge aus. Die sogenannten immanenten oder Wesens-,,Geschichten“‘
der Philosophie, der Kunst, der Sprache, die den Verlauf dieser Geist-
gebilde in ihrer „logischen‘ Folgerichtigkeit aufweisen, sind keine
Geschichte, sondern auf einen Zeitablauf projizierte Sinnkonstruk-
tionen, Theorien. Nur das, worin sich die Handlungen lebendiger Men-
schen niederschlagen, gehört der Geschichte an. Dann freilich alles,
was in der Menschenwelt ist oder geschieht. Mein Onkel Max nicht
minder als der große Feldherr Themistokles, der Ertrag der Weizen-
ernte Deutschlands. im Jahre 1929 ebenso wie die Schlacht am
Weißen Berge. , ;
Man hat versucht, den Bereich der Geschichte einzuengen auf die
„wichtigen, d. h. schicksalhaften Einzelzusammenhänge‘. Das ist
nicht zweckmäßig. Was heißt wichtig? Vielleicht wertvoll? Aber
alle Ereignisse der Geschichte sind „wertvoll“, es fragt sich nur für
wen, Aus der Geschichtswissenschaft einen Teil auszuscheiden, weil
er nicht „wertvoll“ ist, ist ein unberechtigter Gewaltakt. Wenn sich
ein Forscher findet, der ein Geschehen darstellt, so ist es eben für ihn
wertvoll. Man mag, wie Max Weber, die Einbeziehung der Eskimos
Scheler, Spranger, Heidegger, Rothacker, Mannheim nenne ich noch
aus der Literatur der neueren Zeit: Eduard Meyer, Zur Theorie und Methodik
ler Geschichte. z1go2. Ernst Tröltsch, Der Historismus und seine Probleme.
1922; Karl Voßler, Das Verhältnis von Sprach- und Literaturgeschichte im
„Logos“ Bd. II; denselben, Kulturgeschichte und Geschichte ebenda Bd. III;
beide Aufsätze sind wieder abgedruckt in den Ges, Aufsätzen zur Sprachphilosophie.
1923; Karl Rothenbücher, Über das Wesen des Geschichtlichen. 1926; Kurt
Breysig, Vom geschichtlichen Werden. 3 Bände. 1925—28; Alfred Weber,
Ideen zur Staats- und Kultursoziologie. Gesammelte Aufsätze. 1927.