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Was die Nationalökonomie in dieser Beziehung leisten kann, ist
folgendes:
(1.) sie kann zwar keine Antworten geben, aber sie kann Fragen
stellen und damit auf die Probleme hinweisen, die wichtig
sind und ihre Zusammenhänge aufweisen;
(2.) sie kann durch ihr System und seine Begriffe Ordnung in die
Köpfe der Kunstlehrer und Praktiker bringen: was könnte die
Privatwirtschaftslehre gewinnen, wenn sie sich zum Beispiel
gewöhnte, mit der Idee des Wirtschaftssystems zu arbeiten!
(3.) sie kann durch die Aufweisung der Sinngesetzmäßigkeiten
dem praktischen Handeln die Grenzen seiner Wirksamkeit
abstecken.
Aber — so fragen wir jetzt — ist mit diesen Leistungen die Be-
deutung der Wirtschaftswissenschaft erschöpft? Reicht diese nur
soweit, als die Wissenschaft irgendwie — mittelbar oder unmittel-
bar — für die praktische Gestaltung des Wirtschaftslebens verwend-
bare Erkenntnis liefert? Damit sind wir vor die Frage nach Sinn
und Bedeutung der Wissenschaft überhaupt gestellt, eine Frage,
die in der letzten Zeit wieder mit besonderem Eifer erörtert worden ist.
Wenn wir nach dem Sinn fragen jener eigentümlichen Geistes-
haltung, die wir seit der beginnenden neuen Zeit in Europa als
Wissenschaft kennen, so erinnern wir uns unwillkürlich der Äuße-
rungen jener Männer, die selbst so viel beigetragen haben, jene ganze
Entwicklung des europäischen Geistes ins Leben zu rufen, die durch
ihr Werk der neuen Zeit gleichsam den Stempel aufgedrückt haben,
jener Worte von Bacon und Descartes, die ich oben angeführt
habe (siehe S. 8gf.). Sie sind im Laufe der Jahrhunderte in ver-
schiedenen Fassungen oft wiederholt worden, um zuletzt durch
Friedrich Nietzsche ihre einseitigste Ausprägung in dem Satze
zu finden: Wissenschaft ist die bestimmteste Form des Willens zur
Macht. Auf diesen Gedanken geht die bekannte Einteilung der
Wissensarten zurück, die noch vor kurzem Max Scheler gegeben
hats, In dieser weist er der Wissenschaft ganz allgemein die Pflege
35 Max Scheler, Die Wissensformen und die Gesellschaft. 1926. S. 245f.