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wirkt in aller Kreatur und alle Gesetzmäßigkeit ist Anteilnahme an
diesem obersten Gesetze, ist lex aeterna. Der Mensch nimmt Anteil
mittels seiner Vernunft: „talis participatio legis aeternae in rationali
creatura lex naturalis dicitur‘‘1, Die menschliche Vernunft erscheint
also, kraft ihres Vermögens ‚dieser Teilnahme an dem göttlichen
Gesetz, als „Stimme und Dolmetsch“‘ der ewigen Vernunft des Welt-
schöpfers selbst. Was als Naturgesetz das individuelle Leben
regelt, wird als Naturrecht zum Fundament für das Leben der Ge-
sellschaft?.
Das mittelalterliche Naturrecht ist entstanden durch eine Zu-
sammenschweißung der biblischen Lehren des Alten wie des Neuen
Testaments, vor allem des Dekalogs, mit der aristotelischen und der
stoischen. Philosophie, in der ebenso wie in der Offenbarung das
ewige Gesetz erkannt worden ist.
In den göttlichen Weltenplan, den uns das ewige Gesetz kund-
gibt, ist nun auch die menschliche Gesellschaft und innerhalb dieser
die menschliche Wirtschaft eingeordnet. Die Aufgabe der Erkenntnis
ist es, die dem ewigen Gesetz gemäße Art zu wirtschaften, das heißt
aber die richtige Wirtschaft zu bestimmen.
Die „richtige“, das heißt also die dem ewigen Gesetz gemäße
Gesellschaftsordnung hat als Vorbild das Corpus mysticum der
Kirche, das nach dem bekannten paulinischen Gleichnisse seine ver-
schiedenen Stände und Berufe in sich ergänzender Arbeitsteilung
darstellt. Es ist hier, wie es Tröltsch richtig ausdrückt, die orga-
nische Anschauung eines in seinen Gliedern arbeitsteiligen Ganzen
auf die Gesellschaftslehre übertragen. Das ständische soziale System
und das scholastische Denken bedingen und entsprechen einander.
1 5. Thom. Summa theol. Iallae, qu. 91, a. 2 und 3.
® W. Scherer, Leo XII. 1923. S. 23. Vgl. von Neueren Joh. Haeßle, Das
Arbeitsethos der Kirche nach Thomas von Aquin und Leo XIII. 1923; und Otto
Schilling, Christliche Gesellschaftslehre, x926. Aus der umfangreichen Lehr-
buchliteratur nenne ich die sich ergänzenden Werke von Victor Cathrein S. J.,
Moralphilosophie, 6, Aufl, 1924, und Josef Mausbach, Katholische Moraltheologie.
5. und 6. Aufl. 3 Bände. 1926ff. Die ausführlichste Darstellung des katholischen
Naturrechts von nicht-katholischer Seite enthält E. Tröltsch, Die Soziallehren
der christlichen Kirchen und Gruppen. 3. Aufl. 1923.