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Sein die Pforte zu öffnen zum Sollen.“ Und weiter heißt est: „Die
ethische Norm ist nichts anderes als der ‚Ausdruck‘ des Seins. Die
Ethik ist somit die einfache Interpretation des Seins, dessen Auslegung
und sachgehaltige Ausdeutung. Die stilhafte Struktur der Sachverhalte
ergibt die Struktur der Sollensverhalte. Die Ethik gehört.so materiell
zum logischen Selbstgehalt der Dinge. Die Seinsbereiche enthalten
eine intentionale Verweisung auf die Norm, Die Ethik ist daher ein-
fache Metalogik; sie ist ständig geführt vom Sein, die Norm die
getreue Nachfolgerin der gegenständlichen Sache; die Ethik wandelt
unentwegt in den Pfaden und Spuren, welche die Ontologie gebahnt
hat... Die Ethik ist mithin einfach die Hermeneutik des Seins.“
Und noch einmal in der scholastischen Sprachweise ausdrücklich ®:
„Das Wesen der Gutheit besteht in der ‚perfectio‘. Jedes Seiende,
insoweit es seiend ist, trägt... soviel appetible Werte in sich, als
es intelligible Entitäten in sich birgt. Daher richtet sich nach dem
qualitätiven Seinsgehalt der Dinge die Welt der Werte; Wirklichkeit
und Wert ... korrespondieren wie Korrelate.“
In diesen Zusammenhang gehört aber auch die Beweisführung
Othmar Spanns. Sie läuft doch — trotz seiner Umkehrung des
thomistischen Satzes: Sein ist vor Sollen —, auf dasselbe hinaus.
nämlich auf die Behauptung einer Identität von Sein und Sollen. Diese
wird ebenfalls wie bei den Scholastikern durch den Begriff der „Per-
fectio‘, der Vollkommenheit hergestellt. „Ganzheitliches Sein, heißt
es bei Spann”, ist seinem Begriffe nach kein leeres Sein, sonderr stets
nur sinnerfülltes Sein. Gibt es aber kein Sein schlechthin, kein leeres
Sein, sondern nur erfülltes, und zwar mit dem sinnvollen Inhalte
der jeweiligen Ganzheit erfülltes Sein; dann kann es auch nur auf
Grund von Vollkommenheit Sein und dessen Weisen geben.‘ Nach
diesem Gedankengange „ist Vollkommenheit vor Sein; und weit ent-
fernt, daß die Verwirklichung des Gesollten ein Widersinn wäre, wie
Cohen und seine Schule behaupten, gilt: daß jedes Sein die Ver-
wirklichung von Gesolltem ist... Für die Verfahrensfrage ist nun
maßgebend, daß das Vollkommene. aus dem sich Sollen, Gelten. Wert
®% Joh. Haeßle, a. a. 0.8. IX.
% Joh. Haeßle, a. a. 0. S. 15.
7 Othm. Spann, Kategorienlehre., 1924. S. 332£.