Full text: Die drei Nationalökonomien

74 
Kratische Wirtschaftsverfassung, freie und gebundene Wirtschaft, 
Gegenwartswirtschaft und Zukunftswirtschaft und vieles, vieles 
andere noch. Selbst ein Satz, den v. Gotil als Muster eines „evi- 
denten‘“ Satzes der Volkswirtschaftslehre anführt: „Man soll die 
Henne nicht schlachten, die die goldenen Eier legt‘, ist nichts 
weniger als „evident‘“, „einleuchtend‘. Es sei denn, man bezeichne 
es als notwendig (soll-notwendig), daß goldene Eier gelegt werden. 
Aber dann ist es ein identischer Satz. Der Entscheid aber, ob „goldene 
Eier“ gelegt werden sollen, hängt von der (beliebigen) Zweck- 
setzung ab, die man vornimmt. Warum kann ein Volk sich nicht 
vornehmen, den Boden auszurauben, die Bergwerke abzubauen, die 
Produktionsmittel abzunutzen in der einzigen Absicht, für eine Ge- 
neration mehr Güter zu erzeugen nach dem schon oft verkündeten 
Grundsatze: „Nach uns die Sintflut?‘ Wenn z. B. der Glaube sich 
verbreitet, daß in einem bestimmten, nahe bevorstehenden Zeit- 
punkt „die Welt untergehen wird‘. Ein solcher Standpunkt mag 
sehr verwerflich sein, möglich ist er gewiß, und es ist sogar der 
Standpunkt gewesen, auf dem ganze Generationen gestanden haben. 
Der Standpunkt wird uns noch näher gebracht, wenn wir etwa 
das Verhältnis verschiedener Volkswirtschaften zueinander in Be- 
tracht ziehen. Während des ganzen merkantilistischen Zeitalters 
haben die europäischen Völker die Henne geschlachtet, die die gol- 
denen Eier legte, als sie die Kolonialländer und Völker ausraubten 
und aussaugten. Und Frankreich hat nach dem Kriege lange Zeit 
geschwankt, ob es Deutschland als Legehuhn oder als Suppenhuhn 
verwenden sollte. Wo also bleibt da die eindeutige Bestimmung 
der „richtigen“ Wirtschaft?! 
Bleibt die kunstvoll ausgebaute, stark betonierte Stellung Kants, 
hinter der sich viele verschanzen, die den Evidenzbeweis für die 
„richtige‘““ Wirtschaft zu führen unternehmen: es ist die Position aller 
derer, die die Werturteile in der Nationalökonomie mit Hilfe. des 
erkenntnistheoretischen Beweises zu rechtfertigen versuchen. Daß 
Kants Beweisführung unwiderlegbar ist, solange sie sich streng formal 
verhält, kann nicht in Zweifel gezogen werden. Aber sie überschreitet 
diese Grenzen sehr häufig, und dann erweist sie sich nicht als stich-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.