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II. Begriff der Meistbegünstigungsklausel.
sein. Dabei ist zu berücksichtigen, welche Form der Meistbegünstigung
bei den Vertragsparteien zur Zeit des Vertragsschlusses in Übung war!.
Ergeben sich auch hieraus keine sicheren Anhaltspunkte, so ist zu ent-
scheiden, ob die Meistbegünstigungsklausel grundsätzlich als bedingt
oder als unbedingt auszulegen ist. — In dem Bericht des Wirtschafts-
komitees an den Rat heißt es:
+ „Le caractere essentiel de la clause de la nation la plus favorisge
est d’empächer toute discrimination, tandis que la clause conditionelle
presente de par sa nature meme, un caractere discriminatoire; elle
n’offre aucun des avantages de la clause proprement dite de la nation
la plus favorisege, qui tend A supprimer les heurtes Economiques, A sim-
plifier le commerce international et a le placer sur des bases plus
solides.“
Im wesentlichen auf die gleichen Gesichtspunkte, die hier für die
unbedingte Meistbegünstigungsklausel geltend gemacht werden, beruft
sich Staatssekretär SHERMAN in seiner Instruktion vom 11T. Jan. 1898
an den Minister BUCHANAN? zur Rechtfertigung ‚der bedingten Meist-
begünstigungsklausel:
«+.» The allowance of the same privileges and the same sacrifice of
revenue duties to a nation, which makes no compensation that has been
conceded to another nation for an adequate compensation, instead of
maintaining destroys that equality of marked privileges which the most
favoured nation clause was ineluded to secure. It concedes for nothing to
one friendly nation what the other gets only for a price. It would thus
become the source of international nequality and frovoke international
hostility.“
Aus der Gegenüberstellung der beiden Zitate geht hervor, daß sich
mit allgemeinen Billigkeitserwägungen schwer operieren läßt. Die beiden
Äußerungen sind in sich konsequent, sie gelangen jedoch zu verschie-
denen Ergebnissen, weil sie schon von verschiedenen Diskriminations-
begriffen ausgehen. Nur darüber, daß jede Diskrimination unzulässig ist,
besteht Einigkeit.
Die Meistbegünstigungsklausel ist m. E. aus den folgenden Gründen
als grundsätzlich „unbedingt‘ anzusehen.
Wird für einen bestimmten Gegenstand, z.B. die Weizeneinfuhr,
die Meistbegünstigung zugesagt, so sollen damit dem berechtigten Staat
bezüglich dieses Gegenstandes gleiche Konkurrenzbedingungen garan-
tiert werden, Diese Konkurrenzbedingungen drücken sich in gleichen
Einfuhrzöllen usw. aus. Mußte der dritte Staat, um eine Zollermäßigung
für Weizen zu erlangen, seinerseits die Zölle z. B. für optische Erzeug-
1 Vgl. hierzu insbesondere HORNBECK: The most favoured nation clauses in
commercial treaties. Madison, Wisconsin 1910.
? Vgl. Reciprocity Treaties a. a. 0.