36 IV. Das Ziel des Meistbegünstigungsanspruches.
bedingungen, gewährleisten, und ob sie nicht gerade mit Rücksicht
auf die Meistbegünstigungsklausel so gefaßt wurden, daß sie wegen
eines hinzugefügten, äußerlichen Tatbestandselements auf den berech-
tigten Staat faktisch keine Anwendung finden. — Willkürliche Be-
handlungsgrundsätze, die eine handelspolitische Vergünstigung von
äußerlichen, die Vergünstigung sachlich nicht rechtfertigenden Voraus-
setzungen abhängig machen, können nicht als Grundlage für den
Meistbegünstigungsanspruch dienen.
Im Handelsvertrag zwischen Preußen und Brasilien vom 7. Juli 1827}
findet sich der folgende Zusatzartikel zu der Meistbegünstigungsklausel:
„Article additionel: L’intention bien sincere des Hautes Puissances
contractantes etant, de donner toute la libert& possible au commerce
par l’adoption d’un syst&me de parfaite r&ciprocite, basee sur des
principes 6quitables, on est convenu que tous les avantages de na-
vigation et de commerce, qui sont ou seront concedes par une des
Hautes Puissances contractantes ä une ville, nation ou A un &tat
quelconque ä l’exception de la nation Portugaise seront de fait et
de droit accordes aux sujets de l’autre de Ia möme manidre que si
ces CONCESSLONS Etaient inserdes mot ä mot dans le traite Susmenbionne,
en observant toutefois les conditions sous lesquelles ces avantages
auraient ete concedes,‘“
Wenn hier die Meistbegünstigungsklausel als Verweisungssatz cha-
rakterisiert wurde, wollte man lediglich unterstreichen, daß weitgehend-
ste gegenseitige Gleichbehandlung gelten solle. Damals, als die heute
verbreiteten Umgehungen der Meistbegünstigungsklausel noch nicht
äblich waren, wurde normalerweise auch durch eine wörtliche (mot &
mot!) Anwendung der für den dritten Staat aufgestellten Behandlungs-
grundsätze der berechtigte Staat gleich behandelt. Die zitierte Klausel
läßt sich also nicht gegen die hier vertretene Auffassung anführen. Für
unsere Auffassung aber sprechen eine Reihe moderner Handelsvertrags-
bestimmungen, auf die unter S. 46f. noch besonders eingegangen wird.
4. Voraussetzung für diese Auffassung der Gleichbehandlungspflicht
ist allerdings die „pro-futuro‘-Wirkung der Meistbegünstigungsklausel,
d. h. daß der berechtigte Staat nicht nur zur Zeit des Vertragsschlusses,
sondern für die Dauer des Vertrages dem jeweilig meistbegünstigten
Staat gleichgestellt werden soll. Bei der Meistbegünstigungsklausel, die
nur „pro praeterito‘“ wirkt, würde sich die völkerrechtliche Bindung
lediglich auf die beim Vertragsschluß der meistbegünstigten Nation zu-
gestandene Behandlung erstrecken. Sie würde indes kein rechtliches
Dauerverhältnis auf dem Boden der Gleichheit zwischen den Konkur-
renzstaaten. schaffen, Das durch den Vertragsschluß faktisch bewirkte
1 v. MArTtEens: Bd. 7, II, S. 470.