IV. Das Ziel des Meistbegünstigungsanspruches,
5. In der Literatur wird — im Gegensatz zu der hier entwickelten
Auffassung — unter „Meistbegünstigung‘‘ im allgemeinen nur eine for-
melle Verweisung auf die für den dritten Staat geltenden Behandlungs-
grundsätze verstanden. Diese Behandlungsgrundsätze werden wörtlich
auf den berechtigten Staat angewandt, selbst wenn dies eine Diskrimi-
nierung bedeutet. — Zur Rechtfertigung: der#änti-Dumping-Zölle jedoch
wird der Meistbegünstigung vielfach ein materieller Inhalt beigemessen,
der über eine formelle Verweisungsnorm hinausgeht. Wenn nämlich der
berechtigte Staat bei seiner Ausfuhr Dumping treibt, z.B. Ausfuhrprä-
mien gibt, soll der verpflichtete Staat trotz der Meistbegünstigungsklausel
die Einfuhr des berechtigten Staates mit Zuschlagszöllen belegen dürfen,
da erst durch die Zuschlagszölle die gleichen Konkurrenzbedingungen
wieder hergestellt würden!. Man steht also auf dem an sich richtigen
Standpunkte, daß es nicht auf die formelle, sondern auf die materielle
Gleichbehandlung ankommt. Trotzdem scheint mir die Begründung
verfehlt. Das Problem der Anti-Dumping-Zölle läßt sich nicht aus dem
Prinzip der Meistbegünstigung heraus lösen. Die rechtliche Beurteilung
muß nämlich die gleiche sein, ob es sich nun um Zuschläge zu Zöllen
handelt, die durch Tarifverträge oder um solche, die durch Meist-
begünstigungsverträge gebunden sind. Das Problem gehört also nicht
zigentlich in den Rahmen dieser Arbeit.
6. Zu der Ablehnung der formellen Auslegung des Gleichbehandlungs-
versprechens muß man gelangen, wenn man den Begriff der Meist-
begünstigungsklausel überhaupt einer juristischen Betrachtung unter-
werfen will. Vom praktischen Standpunkt aus ist allerdings nicht zu
verkennen, daß diese Auffassung nicht in jedem Falle eine so einfache,
schematische Anwendung der Klausel gestattet, wie die hier abgelehnte.
Gegen diese jedoch spricht das noch schwerer wiegende praktische Be-
denken, daß die moderne Handelspolitik die Meistbegünstigungsklausel,
8
‘ Vgl. BASDEvVANT: a. a. O. Nr. 22. CULBERTSON: International Economic Po-
licies S. 73/76. —
WICKERSHAM führt z. B. in dem bereits zitierten Bericht S. 10 aus, daß der
Zuschlagszoll keine Diskriminierung, sondern eine Abwehrmaßregel gegen eine
Diskriminierung sei. Dieses Argument ist wenig überzeugend. Durch die Zuschlags-
zölle wird der berechtigte Staat höheren Zöllen unterworfen als andere Staaten,
d. h. er wird diskriminiert. Wenn WICKERSHAM aber meint, die Diskriminierung sei
durch das Dumping als Abwehrmaßregel gerechtfertigt, so ist das m. E. eine petitio
principli. Die Frage ist gerade, ob diese Abwehrmaßregel gerechtfertigt ist. Daß
nicht jede Abwehrmaßregel gegen unliebsame Einfuhr gestattet ist, bedarf keiner
ıäheren Begründung. — Das Problem der Anti-Dumping-Zölle liegt m. E. auf einem
anderen Gebiet. Der Dumping treibende Staat greift in das freie Spiel der Kräfte
ein, welches die ursprüngliche Grundlage für den Abschluß der Handelsverträge
war. Welchen Einfluß diese Verschiebung der Vertragsgrundlage auf die Handels-
verträge hat, bedürfte einer eingehenden Prüfung, für die an dieser Stelle kein
Raum ist.