Full text: Die Meistbegünstigung im modernen Völkerrecht

$ 9. Beispiele aus der handelspolitischen Praxis, 45 
berechtigten Staat noch nicht verdrängt ist, und der Export des be- 
rechtigten Staates mit Rücksicht auf seine Produktionsverhältnisse und 
dergleichen noch steigerungsfähig ist. 
In der absoluten Bezifferung des Kontingents liegt also schon die 
Diskriminierung. Eine ‚Gleichbehandlung‘ wäre demnach nur dann 
gewährleistet, wenn das einem Staate eingeräumte Kontingent nach 
dessen jeweiligem Anteil an der Gesamteinfuhr der betreffenden Waren- 
art bemessen würde. Da dieser Anteil nicht konstant ist, wäre er 
laufend auf Grund der Außenhandelsstatistik festzusetzen. Daß dies in 
der Praxis Unbequemlichkeiten mit sich bringt, kann an der Rechts- 
lage nichts ändern. 
4. Das Versprechen der meistbegünstigten Zollbehandlung ist prak- 
tisch wertlos, wenn die Ware im Gebiete des verpflichteten Staates 
auf dem Wege bis zum Bestimmungsort bei den Eisenbahnen höher 
tarifiert wird als die gleichen Waren eines anderen Staates. Ebenso 
wird der Vorteil einer auf Grund der Meistbegünstigungsklausel erfolg- 
ten Zollherabsetzung wieder aufgehoben, wenn der verpflichtete Staat 
die ausländische Ware mit einer inneren Sonderabgabe belegt. Selbst- 
verständlich kann der berechtigte Staat sich gegenüber solchen Maß- 
nahmen des „administrativen Protektionismus‘“1 auf die Meistbegün- 
stigungsklausel nur berufen, wenn sie sich unmittelbar auch auf die 
weitere Behandlung im Gebiete des verpflichteten Staates bezieht, 
was allerdings meist der Fall ist. Auch auf diesem Gebiet begegnet 
man wie bei der Zollbehandlung denselben Versuchen der einzelnen 
Staaten, sich der Meistbegünstigungsverpflichtung durch eine for- 
melle Gleichbehandlung, aber materielle Diskriminierung des berech- 
tigten Staates zu entziehen. Für gewisse von der Grenze des begünstig- 
ten Staates ausgehende Eisenbahnstrecken werden z. B. häufig niedrigere 
Frachttarife festgesetzt und so der berechtigte Staat. diskriminiert. 
Rechtlich bieten diese Fälle jedoch nichts Neues. 
5. Die hier vertretene Auffassung, daß die Meistbegünstigungs- 
klausel nicht zur formellen Anwendung der vom verpflichteten Staate 
aufgestellten Behandlungsgrundsätze auf den berechtigten Staat, son- 
dern zur Aufstellung von Behandlungsgrundsätzen verpflichtet, durch 
welche die Konkurrenzbedingungen für den berechtigten Staat nicht 
erschwert werden, führt zu Ergebnissen, die sich mit der gegenwärtigen 
handelspolitischen Praxis nicht immer vertragen. Auch läßt sich nicht 
L Die Internationale Handelskammer versteht hierunter „toutes les mesures qui 
ont directement ou indirectement pour but d’entraver abusivement l’importation 
les marchandises 6trang&res ou de les exclure‘‘. — Vgl. La Chambre et le Developpe- 
ment de la Politique de la Conference Economique Internationale, Memorandum 
presente au Comite consultatif de l’Organisation &conomique de la Delegation de la 
Chambre de Commerce Internationale, April 1928.
	        
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