Daß die Falaschas direkt von Palästina, und zwar vor der
Einwanderung der Vorfahren der übrigen Abessinier ge—
kommen sind, wird von ihnen sowohl als auch von ihren
christlichen Nachbarn angenommen, ist aber wenig wahr—⸗
scheinlich. Das abessinische Volk hat nach eigenem Ausspruch
und nach allen feststellbaren Tatsachen einen grundlegenden
Bestandteil jüdischen Blutes. Es sind natürlich keine Autori—
täten in der abessinischen Ethnologie, aber geschäftige Aben—
teurer im Irrgarten der Legenden, die für einen wenigstens
teilweisen semitischen Ursprung eintreten und im Leben des
Volkes vielfach Spuren jüdischer Sitten finden.
Die logischste Erklärung für das Bestehen der Falascha⸗
Enklave ist daher die, daß sie, als der größere Teil Abessiniens
im vierten Jahrhundert zum Christentum überging, ihrem
alten Glauben treu geblieben sind. Standhaft bleibend
haben sie sich in ein abgelegenes Gebiet zurückgezogen, um
einmal der Verunreinigung, andererseits aber der Verfolgung
durch die Christen zu entgehen. Und infolge dieser Ab⸗
schließung, durch Heiraten innerhalb ihrer Gemeins chaft und
hartnäckiges Festhalten an den Gebräuchen und den rituell
festgelegten Denkformen haben sie ihren Glauben und ihren
Typus durch die Jahrhunderte bewahrt.
Aber wie dem auch sei, die Tatsache besteht: Sechzehn Jahr⸗
hunderte lang, nachdem Abessinien christlich wurde, lebt
innerhalb ihrer Grenzen eine isolierte Gruppe von Men—
schen, die behaupten, zum auserwählten Volke zu gehören
und nach dem mosaischen Gesetz zu leben. Die Falaschas
waren so lange abgeschnitten von allen anderen Anhängern
ihrer Religion in anderen Teilen der Welt, daß ihre Traͤ—⸗
dition nichts von der babylonischen Gefangenschaft weiß. Sie
kennen den Talmud nicht; nicht einmal ihre Priester ver—
658