vertiten steht ein ebenso aufrechter und tüchtiger junger
Falascha, Abraham Ben Meir, der jetzt in Paris lebt und
dessen brennendster Wunsch es ist, zu seinem Volke zurück—
zukehren und ihm etwas von der in Europa erworbenen
Bildung zu vermitteln. „Ich werde bestimmt mit dem
Unterricht beginnen, aber ich muß für meinen Lebensunter—
halt noch eine andere Tätigkeit ausüben, der Talmud ver—
bietet, für Unterricht Geld anzunehmen.“
Als Sohn eines Webers hat Abraham seine Kindheit in
einem Dorf bei Gondar verbracht. Die nächste jüdische
Schule war eine Tagereise weit entfernt. Er besuchte in⸗
folgedessen die christliche Schule, nahm aber jeden Abend,
sobald er heim kam, ein Bad, um die christliche Verunreini⸗
gung abzuwaschen. Nach dem Abendessen ging er zum Kahen
des Dorfes zum Religionsunterricht.
Der Sabbat wird von den Falaschas in der Form ge—
feiert, daß man sich im Freien aufhält und, im Grase
liegend, sich über religiöse Gegenstände unterhält. Die in
der Synagoge beobachtete Trennung der Geschlechter wird
auch bei der Feldarbeit durchgeführt. Frauen und Mäd—
chen gehen auf die eine Seite des Ackers, Männer und
Knaben auf die andere.
Als Abraham zehn Jahre alt war, wurde er nach Wien
geschickt und im orthodoxen jüdischen Glauben erzogen. Er
stellte fest, daß die vorgeschriebenen Gebräuche und die
Formeln des Rituals, die er in der Hütte des Kahen und
bei seinem Vater gelernt hatte — Glaube und Gesetz wird
bei den Falaschas von jeher mündlich überliefert — im
wesentlichen identisch sind mit der jüdischen Lehre, die ihm
auf dem Wege über die in Europa erlernte hebräische
Sprache vertraut wurde.
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