Full text: Die Psychologie der Reichsfinanzreform

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ist nur imstande, den Sonderegoismus seines Wahlkreises 
oder höchstens bestimmter Berufsschichten zu -vertreten. 
Sollte die Regierung ernstlich gewillt sein, den Reichstag 
auch einmal aus wirtschaftspolitischen Gründen nach Hause 
zu schicken, so würde die Prinzipienreiterei bald verschwinden. 
Schon die Andeutung einer solchen Möglichkeit würde im 
Auslande einen günstigen Eindruck machen. 
6. Noch ein anderer Grund läßt sich für den ungünstigen 
Stand unserer wirtschaftlichen Verhältnisse anführen; auch 
er ist rein psychologisch; es ist das die Zurückhaltung, die 
geradezu lächerliche Bescheidenheit gegenüber dem Auslande; 
der Mangel an Energie, der es bewirkt, daß wir nicht den 
jenigen Willens- und Tatkraftsnachdruck finden, der nötig 
ist, um alle die Möglichkeiten wirtschaftlicher Vorteile im 
Auslande richtig zu verfolgen. Der hierdurch uns ent 
gehende Gewinn wird von sachverständiger Seite auf mehr 
als eine Milliarde geschätzt. 
7. Ich komme zu dem letzten Grunde der allgemeinen 
Wirtschaftsnot, dessen offene, wenn auch etwas peinliche 
Erwähnung die Lage des Augenblicks verlangt. Ich meine 
die geringe persönliche Wertschätzung, die uns von weiten 
Kreisen des gebildeten Auslandes entgegengebracht wird; 
die uns ja ziemlich kalt lassen könnte, wenn sie sich nicht 
so wesentlich im Kurse unserer Papiere ausdrückte. Die 
Tatsache läßt sich nicht aus der Welt bringen; wir besitzen 
in der Tat in den Augen der Ausländer einige unsympatische 
Eigenschaften, die ich, da sie wohl bekannt sind, hier nicht 
aufzählen will. Mit ihren wirtschaftlichen Folgen müssen 
wir rechnen. 
H. Soviel, meine Herren, über die Ursachen der Wirt 
schaftsnot. Meine Psychologie der R. F. R. würde nicht 
vollständig sein, wenn sie nicht umfaßte auch eine 
Charakterisierung des Mannes, dem das wichtige Werk 
anvertraut ist. Mit was für Eigenschaften muß dieser Mann 
ausgerüstet sein? Die erste Bedingung, die volle Beherr 
schung des Gebietes, sowie eine ausgesprochene wirtschaftliche 
Veranlagung und die von innen kommende Lust und Liebe 
zur Sache, bedarf keiner Erörterung; ein zweites Erfordernis 
ist, daß er ein guter Menschenkenner, ein drittes, daß er 
ein guter Menschenbehandler, ein geschickter Kompromiß 
politiker ist; mit dieser persönlichen Qualität fällt und steht 
die ganze Reform. Der Schatzsekretär muß es demnach in 
besonderem Maße verstehen, mit Menschen umzugehen und 
das ist dasjenige rein psychologische Moment, das zu allen 
Zeiten in den wichtigsten Dingen den Ausschlag gegeben
	        
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