Full text: Die Psychologie der Reichsfinanzreform

6 
82 
Beachtung schon der gesunde Menschenverstand fordert. 
Dieses politische Gesetz bezieht sich auf die Rangordnung 
der Interessen der verschiedenen Arten von Gemeinwesen 
untereinander, das ich analog dem auf dem allgemeinen 
Yerfassungs- und Rechtsgebiete geltenden Fundamentalsatze 
„Reichsrecht bricht Landesrecht“ so formulieren möchte; 
„Die wirtschaftlichen, wie die rein politischen Inter 
essen der weiteren und darum höher stehenden Ge 
meinwesen haben gegenüber den Interessen der 
engeren Gemeinwesen, die demselben Verbände an 
gehören, unter allen Umständen den Vorrang“. 
Dieses Gesetz verbietet also z. B. die kommunalen Inter 
essen den bundesstaatlichen vergehen zu lassen; dasselbe 
Gesetz, das doch in den Bundesstaaten gegenüber den Kom 
munen überall streng zur Durchführung kommt, verbietet 
es konsequenterweise, die bundesstaatlichen Interessen den 
höherstehenden Reichsinteressen vorzusetzen. Die Nicht- 
innehaltung dieses Gesetzes ist einer der Hauptfinanzfehler 
der Gegenwart. Dieses so einfache Gesetz ist nämlich, was 
das Verhältnis der Bundesstaaten zum Reiche betrifft, zu 
wenig die Richtschnur des Handelns gewesen; darum wesent 
lich ist das Reich notleidend; das Reich sitzt fest, weil man 
noch heute dem Reich nicht gibt, was des Reiches ist. 
Noch eins, das Reich ist nicht dazu da, die Bundesstaaten zu er 
nähren; es baut sich auf den Bundesstaaten auf, nicht um 
gekehrt; schon weil das Reich das viel jüngere Gebilde ist, 
weil es auch eine viel immateriellere Gesamtheit bedeutet, 
wie die Bundesstaaten, gebietet es die Staatsraison, dem 
Reiche die mühsam errungenen Einnahmen möglichst auch 
allein für seine Zwecke zu überlassen. Die Zurücksetzung 
des partikularen Egoismus muh also immer wieder 
gefordert werden. 
5. Unentbehrlich bei der ganzen Sache ist natürlich der 
Reichstag, dessen Erwähnung mich hinführt zu einer ferneren 
Ursache der Reichswirtschaftsnot. Auch der Reichstag als 
solcher hat einen großen Teil der Schuld auf sich zu nehmen. 
Die Prinzipienreiterei vor allem, rechts und links, muß auf 
hören, ebenso wie die Uebung, Ausgaben ohne hinreichende 
Deckung zu beschließen. Auch der § 6 des Flottengesetzes 
muß fallen; er ist finanzpolitisch nicht haltbar. Heute 
sollten alle Mitglieder des Reichstages sich nur als Vertreter 
der Gesamtheit erweisen, hier müssen die Interessen von 
Partei und Fraktion beiseitegesetzt werden, wenn es sein 
muß, auch Logik, Konsequenz und Motive. Wer das nicht 
kann, der ist kein Staats- sondern ein Krähwinkelraann; er
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.