Full text: Zukunftsmöglichkeiten deutscher Steuer- u. Finanzpolitik

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Handel und Landwirtschaft zumeist viel größer ist als die des Einkommens. 
Jene Statistiken geben für die Gestaltung der Einkommensverhältnisse der 
Gegenwart und nächsten Zukunft infolge der seit dem vorigen Herbst ein 
getretenen Umwälzungen überhaupt keinen Anhalt mehr; wenn erst in 
ihnen statt der Einkommen von 1915, 1919, 1917 diejenigen von 1918, 1919, 
1920 erscheinen werden, wird das Bild ein völlig anderes sein: dann werden 
die Einkommen der Arbeiter und mancher Privatangestellten so ziemlich die 
einzigen sein, die eine über die Teuerung hinausgehende Steigerung erfahren 
haben; sie aber sind die, die infolge der Gestaltung der direkten Steuern die 
prozentual geringsten Steuerquoten abwerfen. 
Stellt man dieser Gestaltung unseres Volksvermögens und Volkseinkom 
mens die von dem Reichsfinanzminister genannten Zahlen unserer Belastung < 
mit öffentlichen Schulden und des Ausgabebedarfes von Reich, Einzelstaaten 
und Gemeinden gegenüber, dann ist die erste Frage, ob die letztere überhaupt 
aufzubringen ist und ein Reichsbankrott noch zuvermeiden ist? 
Ich wagte diese Frage schon vor Bekanntwerden der Friedensbedingungen 
nicht mit einem zuversichtlichen „Ja" zu beantworten. Jetzt und nach den innern 
Vorgängen des April und der ersten Maitage fürchte ich, daß sich diese äußerste 
Katastrophe auch für Einzelstaaten und andere, kleinere Gemeinwesen schwer, 
ja kaum wird abwenden lassen, für das Reich sicherlich nicht, wenn 
ihm wirtschaftlich und steuerlich leistungsfähige, große Gebiete verloren 
gehen. In dem unerwarteten Rücktritte des Reichsfinanzministers Schiffer 
sehe ich eine bedrohliche Bestätigung meiner schlimmsten Befürchtungen. 
Daß ihn so sekundäre Fragen, wie die fortwährenden Ämter- und 
Stellenvermehrungen, so berechtigt sein Widerstand hiergegen auch ist, 
in der jetzigen Situation zu seinem Schritte bewogen haben sollten, 
glaube ich ebensowenig, wie daß der wahre Grund in den Sozialiste- 
rungsplünen der Reichsregierung liegt. Mit diesen würde er sich wohl, wie 
ich ihn kennne, um so mehr abgefunden haben, als er mit ihnen schon bei 
Übernahme seines Amtes rechnen mußte. Ich vermute den wahren Grund 
darin, daß er zu der Überzeugung von der Hoffnungslosigkeit unserer Finanz 
lage gelangt ist und nicht gewillt war, sich an der seiner Ansicht nach unlös 
baren Aufgabe einer Sanierung zu verbrauchen. 
Wenn überhaupt noch eine Hoffnung auf Rettung ohne das Gewalt 
mittel eines Bankrotts des Reiches und mindestens mancher Einzelstaaten 
und sonstiger Gemeinwesen besteht, dann ist dieses Äußerste nur zu vermeiden, 
wenn die breiten Massen schleunigst aus dem Taumel, der sie ergriffen hat, 
und von Leuten, von deren Intelligenz man annehmen muß, daß sie die 
Folgen übersehen, noch genährt wird, erwachen, und dafür fehlt es noch an 
jedem, aber auch jedem Anzeichen. So, wie wir es unter dem Drucke der 
Arbeiterforderungen jetzt treiben, führen wir den nahen Bankrott von Reich, 
Staat und Gemeinden mit unfehlbarer Sicherheit herbei. Wo in aller Welt 
sollen denn die Gelder zur Verzinsung der Reichsschulden herkommen, wenn 
phantastische Arbeitslöhne bei ständig reduzierter Arbeitszeit, alle nasen 
lang einsetzende Streiks mit Sabotagen, die Lahmlegung, Verdrängung und 
Abdankung der zur Leitung geeignetsten Kräfte und ihre Ersetzung durch 
Leute, die tüchtige und intelligente Arbeiter sein mögen, denen aber die 
unerläßliche technische und kaufmännische Vorbildung für die Leitung großer 
Betriebe fehlt, oder vollends durch Gremien von Arbeitern, in denen die 
lautesten Schreier und wortgewandtesten Agitatoren, die meist am wenigsten
	        
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