44
Ein gleiches Ziel verfolgen auf ähnlichen Wegen die Vorschläge der Re
gierungsvorlage über die Bcrufsgenoffenschaften der Eisenbahnen und des Berg
baues. Das „Programm" hat noch die Zuweisung der Bergarbeiter an die
territorialen Anstallcn in Aussicht genommen und treffende Worte der Begründung
für diesen Vorschlag gefunden. Der Verein der Montanindustriellen hat aber die
Schmiegsamkeit des Ministeriums des Innern trefflich zu benützen gewußt. So hat
sich denn das Blatt gewendet und die Regierung ist nunmehr von der Notwendigkeit
einer Berufsgcnoffenschaft für die Unfallversicherung im Bergbau fest überzeugt. Auch
hier soll eine Zweidrittclmajorität der Unternehmer an Stelle der heutigen Zwci-
drittelmajorität der Arbeiter bei den Bruderladen treten. Der Proporz soll das übrige
tun, um auch das letzte Drittel den Kreaturen der Unternehmer zuzuwenden.
Ich kann das Gesagte wie folgt zusammenfassen: Gegenüber dem heutigen
Zustande auf den: Gebiete der Unfallversicherung war vor allem notwendig, die
erschreckend hohen Defizite im Wege einer Amortisation durch Beitragszuschläge
zu beseitigen. Es mußten auch Vorkehrungen getroffen werden, um künftigen Aus
fällen durch erhöhte Beitragstarife vorzubeugen. Sollten diese Maßnahmen zuver
lässig durchgeführt werden, und ein sozialpolitischer Geist an Stelle des fiskalischen
in die Unfallversicherung einkehren, so mußte im Vorstand mindestens die Parität
zwischen Betriebsinhabern und Versicherten hergestellt und so ein kräftiger Träger der
sozialpolitischen Ideen geschaffen werden. Von alldem geschieht das strikte Gegenteil.
Die Zukunft der Unfallversicherung wird sich demnach in Oesterreich sehr trübe
gestalten.
VII. Unsere offizielle Verficherurigsmatheinatik.
Die Feindseligkeit der Regierung gegen die Sozialversicherung.
Da uns das Deutsche Reich schon vor zwanzig Jahren mit der Einführung
der Alters- und Invalidenversicherung vorausgegangen ist, war für Oesterreich
die Einführung dieses Bersicherungszwciges eine verhältnismäßig einfache Sache.
Man durfte nur die Frage uicht komplizieren und mit unnötigen Schwierigkeiten
belasten. Hätte man sich vor etwa sechs Jahren damit begnügt, die Einführung
der Alters- und Invalidenversicherung vorzuschlagen, hiefür eine Anzahl von terri
torialen Anstalten in Aussicht zu nehmen, den Kreis der Versicherten so zu ziehen,
wie im Deutschen Reiche, lediglich die Vorschreibung und Einhebung der Prämien
den Krankenkassen zu übertragen und die Selbstverwaltung bei der Invalidenver
sicherung auf dem Grundsatz der Parität aufzubauen, dann wäre ein so gearteter
Gesetzentwurf nach einigen Rückzugsgefechten der Unternehmer im Parlamente
zweifellos mit großer Mehrheit akzeptiert worden.
Insbesondere zur Zeit der Einführung des Zolltarifcs, noch sicherer im
Zeitpunkte, wo die Wirkungen dieses Zolltarifes auf die Bevölkerung sich zuerst
geltend machten, hätten nur wenige den Mut aufgebracht, die dürftigen Alters
und Invalidenrenten den Arbeitern ernsthaft zu verweigern.
Die Weisheit unserer Regierungen hat es anders gewollt. Man mußte ein
groß angelegtes kodifikatorischcs Werk schaffen. Es mußte eine Vereinheitlichung
der gesamten Arbciterversichcrung durchgeführt werden. Ein großer Bazar mit
Organisationsneuheiten sollte sich auftun.
Im Deutschen Reiche ist man zur Schaffung eines einheitlichen Gesetzcswcrkes
erst zwanzig Jahre nach Einführung der Invalidenversicherung geschritten und auch
da hat man das Prunken mit Originalität recht karg zur Anwendung gebracht.
Gleichzeitig mit der Einführung der Invaliden- und der Vereinheitlichung der
Arbeitcrversicherung wollte die österreichische Regierung auch die Reform der
.Krankenversicherung, die Umgestaltung der Unfallversicherung in einem Zuge per
fektionieren. Dadurch ist eine Reihe von Gegnerschaften ausgelöst worden, die bei