Full text: Religion und Wirtschaftsleben

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Teil der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung mit 
verschränkten Armen zusahen und sprachen: Das Gute 
wird uns von unserer Obrigkeit schon geschenkt werden, 
wenn wir nur geduldig darauf warten. Oder sollen wir 
mit der marxistischen Geschichtsauffassung umgekehrt 
sagen: die patriarchalische Wirtschaftsordnung spiegelte 
sich in der genannten Weise religiös? Aber Luther emp 
fand für seine Person nicht so devot vor der Obrigkeit; man 
kann also doch nicht behaupten, daß seine Lehre eine 
Spiegelung oder irgendwie Folge seiner wirtschaftlichen 
Lage gewesen wäre. In Wahrheit wird man wohl sagen 
müssen: die religiöse Idee war zuerst da, 
aus dem Gei st e geboren, diewirtschaftlich- 
politische Situation war dieser Idee 
günstig, siewurdeangenommenundstützte 
und kräftigte nun die wirtschaftlich-poli 
tische Situation. Eine Parallele darf ich hier ein 
fügen, obwohl es sich nicht eigentlich um Religion handelt: 
vor kurzem hat Goldstein in Darmstadt in der Inter 
nationalen Wochenschrift (Nr. 2) einen interessanten Auf 
satz veröffentlicht über den Einfluß der Technik auf unser 
Geistesleben. Er meint, die unermüdlich fortschreitende 
Technik, die das Unmögliche möglich macht, habe eine 
neue Stimmung geschaffen, ein Hauptzug in ihr sei die 
Ursache, die Freude an der Bewegung; nicht das Haben, 
sondern das Erwerben befriedige den modernen Menschen, 
„die Beseligung am Ziel ist der Beseligung aus der Be 
wegung gewichen." Und das alles ist nach Goldstein eine 
Folge der technischen Entwickelung. Nur hat Goldstein 
leider vergessen, daß der Mann, der dieser Stimmung den 
ersten und klassischen Ausdruck gegeben hat, vor dem Zeit 
alter der Technik lebte: Seffing 1 ). Die Sache ist wohl auch 
*) „Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner 
Linken den immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem 
Zusatz mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte und 
spräche zu mir: Wähle! — ich fiele mit Demut in seine Linke 
und sagte: „Vater gib! Die reine Wahrheit ist ja doch nur für 
dich allein!" Theolog. Streitschriften. Eine Duplik 1778.
	        
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