Full text: Kapitalistische Kolonie oder Sozialistischer Wirtschaftsbund

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zur Stelle sein. Bei allen/ Finanzaktionen wird aber natürlich das kapitalistische 
Profitinteresse ausschlaggebend sein. 
Für die innige Verknüpfung unserer Qeldwirtschaft mit dem Auslande, für die 
die Valutaschwankungen den besten Maßstab'liefern, ist der wirtschaftliche Zusam 
menbruch die hervorragende Ursache, aber zu keiner Zeit ist diese Abhängigkeit 
von Deutschlands Finanzlage vom Weltmarkt eine so absolute gewesen wie 
heute. Um so toller erscheinen alle Versuche der reaktionären Verzweiflungs 
politiker in Deutschland, durch politische und militärische Unternehmungen diesen 
Tatsachenberg granitener wirtschaftlicher Verhältnisse hinwegzurücken. 
Das Finanzkapital hat seinem Wesen nach übernationale Tendenz, und die 
Finanzlage eines modernen Großstaates (in der heutigen Zeit aber auch eines 
rückständigen Agrarlandes oder eines kolonialen Gebietes), wird immer an wenigen 
weltzentralen Stellen, in London, in Neuyork, in Amsterdam, bestimmt. Aber kaum 
jemals ist die wirtschaftliche Entwicklung 'eines Landes so an internationale Ver 
hältnisse und Einflüsse gebunden gewesen, wie die des in der Liquidation befind 
lichen Deutschlands. 
Die deutsche Kohle, der Lebensnerv der deutschen Industrie, war in ver 
gangenen Zeiten doch mehr oder minder eine deutsche Sache. Fleute ist dieses 
wichtigste Gut, dieses Brot unseres/industriellen Lebens, internationalen Einflüssen 
fast ebenso ausgesetzt wie unsere Finanzen. Um, das Ruhrgebiet haben sich 
letzten Endes die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Ententeländer bewegt, 
und wir wissen, daß Frankreich das lebhafteste Begehren nach völligem Besitze 
dieses Gebietes haben muß, daß 'aber England und Amerika dieses wertvollste 
Faustpfand nicht aus der Hand geben werden. Die Krise, die in unserer 
Kohlenwirtschaft vorhanden ist, muß als die gefährlichste von den Krisen angesehen 
werden, die im Leib Deutschlands gären, weit gefährlicher als die Finanzkrisen. 
Wir können uns die Größe und die Furchtbarkeit der ständig drohenden Kohlen 
katastrophe gar nicht ausmalen. Lediglich die Tatsache, daß der Ententemilitarismus 
in der Lage wäre, das Ruhrgebiet nicht nur zu besetzen, sondern Deutschland von 
der Ruhrkohle abzuschneiden, zeigt uns die völlige Abhängigkeit unseres Wirt 
schaftslebens von dem Ententemilitarismus. Um so frivoler ist das Spiel, das die 
Reaktionäre bei der Auslieferungsfrage und in den Kapptagen mit dem Ruhr 
kohlengebiet getrieben haben. 
In dem Augenblick, in dem das übrige Deutschland keine Ruhrkohle mehr be 
kommt, beginnt die Katastrophe. Es tritt nicht das ein, was wir in -Österreich 
erleben — ein langsames Zugrundegehen der Bevölkerung an Unterernährung 
und Tuberkulose —, sondern wir stürzen mit dem Auf hören der Kohlen Wirtschaft 
direkt in den Abgrund. Abgesehen davon, daß die Industrie, die Gas- und 
Elektrizitätswerke nur auf Tage oder Wochen mit Kohle versorgt sind, tritt in 
kurzer Zeit eine völlige Lahmlegung des Verkehrs ein, und da die Städte heute 
immer nur auf kurze Zeit bevorratet sind, so beginnt alsbald die Hungersitot 
in den Städten und all das, was in ihrem Gefolge steht. 
Es ist nun ein großer Unterschied, ob eine Bevölkerung ganz plötzlich in den 
Abgrund zu stürzen droht oder so wie in Österreich allmählich ans Hungern und 
Verhungern gewöhnt wird. Es tritt etwas völlig anderes ein — die akute Kohlen 
krise bedeutet inj Deutschland den Aufstand des Volkes, den Verzweiflungskampf, 
d. h. den Bolschewismus. ( 
Die Entente, und vor allem der wirtschaftlich denkende Teil, England und 
Amerika, kennt die ungeheure Gefahr dieser Entwicklung, die sie unter allen Um 
ständen vermeiden will. Darum hat sie ein geringes Interesse an einer Kohlen 
katastrophe in Deutschland, und deswegen wird auch der französische Draufgänger, 
dem das Wasser am Halse steht, mit aller Energie zurückgehalten und, wenn es 
nicht anders geht, auf andere Gegenden Deutschlands abgelenkt.
	        
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