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mögliche möglich, aber zugleich nur vermöge einer unsagbaren Menschen
freundlichkeit Gottes. (Menschenfreundlichkeit sagt man nach altgriechischem
Sprachgebrauch häufiger als hiebe.) So tief hat sich der Höchste geneigt, daß
er den Menschen zuliebe bis in die Sichtbarkeit, ja bis ins beiden herabstieg.
Erhabenheit und herablassende Güte, die gleichzeitige Erinnerung daran,
wie hoch Gott über dem Menschen steht und wie nahe er sich doch zu ihm
begeben hat: das sind die beiden Züge, die das griechische Gottesbild seinem
Wesen nach ausmachen. Die Spannung, in der sie zueinander stehen,
bildet den Hebel der griechischen Frömmigkeit.
Von da aus lassen sich nun die Formen des griechischen Glaubens im
einzelnen ableiten.
In der Auffassung der Erhabenheit Gottes liegt es begründet, daß hier
die Religion zunächst verstandexr wird als eine heilige Ordnung. Die griechische
Kirche ist außerordentlich reich an Satzungen. Mit dem künstlerischen Ge
schmack, der den Griechen niemals ganz abhanden gekommen ist, haben sie
das einzelne im Raufe der Jahrhunderte gestaltet. Schon der Aufbau des
Kirchenjahrs ist sinnvoll gefügt. Jeder Tag ist mit einem Heiligen besetzt.
Das bedeutet: die ganze Zeit soll für eine heüige Zeit erklärt werden. Aber
aus der gleichmäßigen Reihe der heiligen Tage heben sich kräftig die großen
Festzeiten heraus. Sie sind dadurch ausgezeichnet, daß ihnen ein längeres
Fasten — das bedeutendste ist das vierzigtägige Fasten vor Ostern — voraus
geschickt wird. Die Fastenzeit dient dem Doppelzwecke, die Einkehr des
Menschen bei sich selbst zu fördern und gleichzeitig die Spannung zu steigern
auf die zu erwartende Offenbarung. Denn nach altchristlicher (und jüdischer)
Anschauung ist Fasten die Bereitung auf eine Offenbarung. Und so, wie
eine j etzt in diesem Augenblick neu an den Menschen ergehende Offenbarung
soll der Grundgedanke des Festes jedesmal vom Volke aufgenommen werden.
Durch diesen Wechsel und die Aufeinanderbeziehung zwischen Fest und
Fasten kommt Bewegung in das Kirchenjahr. Das Kirchenjahr wird durch
lebt als ein ständiges Sichhinüberschwingen vom einen Ende der christ
lichen Stimmung zum anderen; und der zugrunde liegende Gedanke: keine
Freude ohne ernsthafte Bereitung, wie umgekehrt: keine Trauer ohne ihre be
friedigende Lösung, prägt sich dem Gemüt umso tiefer ein, weil er, nur in ent
sprechender Verkürzung, auch innerhalb der Wochenfeiern zur Darstellung
kommt.
In den Rahmen, der damit abgesteckt ist, webt die griechische Kirche alle
Ereignisse des öffentlichen und des Einzellebens hinein. Für jedes Ereignis
von der Geburt bis zum Tode, für jede schwierige Lage hat sie ihre Weihe.
Sie steigert aber den Eindruck ihrer heiligen Handlungen, indem sie die einmal
festgesetzte Form unabänderlich festhält. Damit erweckt sie die Vor-