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recht ist es für sie wichtig — um auf ein gewohntes Preisniveau die eigenen
Produktionskosten einstimmen und eine feste Absatzorganisation dauernd
aufrecht erhalten zu können — daß die einmal festgesetzten Zölle des Ab
satzgebietes nicht ganz willkürlich abgeändert werden dürfen. M. a. W. — der
Industrie-Exportstaat muß entscheidendes Gewicht darauf legen, daß der
Importstaat die Zölle auf einer Höhe nur halte, die noch einen beträchtlichen
Konsum in seinem Bereich für die einzuführenden Güter möglich lassen,
und daß diese Zölle auf möglichst lange Zeit vertraglich gebunden werden.
Je länger die Bindungszeit ist, auf die der Importstaat sich einläßt, um so
höher können die Zölle zugelassen werden, und umgekehrt, je geringer die Zoll
höhe ist, um so leichter kann die Bindung entfallen.
Diese Situation, die an sich schon verwickelt genug ist, wird nun in unserem
Verhältnis zu Rußland noch dadurch bedeutend erschwert, daß wir in unserer
Handelspolitik nicht nur die Interessen unseres industriellen Exports zu wahren
haben, sondern daß auch die starke landwirtschaftliche Eigenproduktion Be
rücksichtigung erheischt; mit ihrer schutzzöllnerisclien Richtung ist sie dem
Abschluß von Tarifverträgen ebenso abhold, wie Rußlands Schutzzöllner es
sind, und auf Festhalten der Zollautonomie immer bedacht. Es müssen also,
wie schon erwähnt, nach zwei Seiten Kompromisse geschlossen werden.
Fassen wir zusammen, so ergibt sich: Rußland legt wegen seiner schutz-
zöllnerischen Bestrebungen Wert darauf, seine Zollautonomie zu behalten,
und will deshalb von sich aus von langjährigen Tarifverträgen nichts wissen;
wohl aber ist ihm wichtig, mit seiner Agrareinfuhr nach dem Recht der Meist
begünstigung behandelt zu werden, und niedrige Zölle auf die Einfuhr sind
ihm lieber als hohe. Deutschland dagegen muß von seiner Fabrikatenausfuhr
her gegenüber einem stark schutzzöllnerischen Land wie Rußland entscheiden
des Gewicht darauf legen, Handelsverträge mit festgelegten Zollsätzen auf
möglichst lange Zeit abzuschließen, und betont dabei die Dauer der Befristung
noch mehr als die absolute Niedrigkeit der Zölle; seine Schutzzöllner aber
würden ein Festhalten der Zollautonomie lieber sehen und verlangen in jedem
Falle die Einsetzung hoher Agrarzölle. Über den Güteraustausch hinaus
hat aber Rußland ein Interesse daran, sich den Kapitalmarkt Deutschlands
offen zu halten, während unser Interesse an ausländischen Kapitalinvestie
rungen angesichts des eignen starken Bedarfs nur wenig dringlich erscheint.
Demgemäß stellte sich das Zarenreich im Jahre 1892, als Deutschland mit
der Anregung zum Abschluß eines Handelstarifvertrages herauskam, zunächst
auf den Standpunkt: ich will nur meistbegünstigt werden, Bindung meiner
Zölle auf längere Zeit vermeide ich, wenn ich es irgend vermeiden kann; wenn
nicht, dann Bindung auf einer solchen Höhe, daß ich tatsächlich doch machen
kann, was ich jeweils für richtig halte. Daß wir darauf nicht eingehen konnten,