Full text: Die Berliner Arbeiterbewegung von 1890 bis 1905

Neuntes Kapitel. 
Die Gewerkschaftsbewegung Berlins. 
a) Die Entwicklung der Gewerkschaften. 
^U^ur langsam und unregelmäßig hatten sich unter dem Sozialistengesetz 
1 die Gewerkschaften Berlins entwickeln können. Einem organisch sich 
vollziehenden Aufbau und Ausbau standen die wechselnde Praxis 
in der Handhabung des Ausnahmegesetzes durch die Behörden und die 
Fußangeln des preußischen Vereinsgesetzes im Wege. Statt ihre Organi- 
sationsform und den Ausbau ihres Wirkungsgebiets lediglich von den Be 
dürfnissen der Gewerkschaftsarbeit bestimmen zu lassen, mußten die Gewerk 
schaften sie in hohem Grade von Rücksichten abhängig machen, die mit 
ersteren nichts direkt zu tun hatten, und blieben dadurch auch in bezug auf 
Wachstum und Leistungsfähigkeit in größerer Abhängigkeit vom Wechsel 
der Geschäftskonjunkturen, als es bei ungehemmter Entwicklung der Fall 
gewesen wäre. 
Immerhin hatteir sich noch unter dem Sozialistengesetz die Gewerkschaften 
Berlins, wie im zweiten Band dieser Geschichte berichtet wurde, in der Streik- 
Kontrollkommission eine Instanz für die Regelung gemeinsamer örtlicher 
Angelegenheiten gewerkschaftlichen Charakters geschaffen (vergleiche Bd. ll 
dieser Geschichte, Seite 327/328). Sie bestand unter diesem Namen bis 
Ende 1892, wo sie, entsprechend den sich erweiternden Arbeiten der Kom 
mission, den Namen Berliner Gewerkschaftskommission erhielt, 
den sie heute noch trägt. In den ersten Jahren arbeitete sie mit überaus 
bescheidenen Mitteln und konnte daher nur summarische Abrechnungen ver 
öffentlichen. Die letzte dieser Abrechnungen bezieht sich auf die Zeit vom 
14. Juli bis zum 27. Dezember 1892 und verzeichnet eine Einnahme von 
3012 Mk. (wovon 980 Mk. Extrabeiträge für die Vertretung am Gewerbe 
gericht waren) und eine Ausgabe von 1718 Mk. Die beiden folgenden 
Berichte rühren schon von der Gewerkschaftskommission her, der erste davon 
für die Zeit vom 29. Dezember 1892 bis zum 7. August 1893. Nach ihm 
betrugen die Einnahmen, abzüglich eines Vortrags von 1007 Mk., 4081, 
die Ausgaben 3727 Mk. Allmählich hatten sich die Arbeiten der Kommission 
so vermehrt, war namentlich das Bedürfnis der Arbeiter nach Auskunft 
über die neuen Versicherungs- und Gewerbegesehe so gestiegen, daß sich nun 
die Notwendigkeit der Einrichtung eines ständigen Bureaus der Kommission 
immer dringender geltend machte. Sie ward nach eingehenden Debatten 
Bernstein, Berliner Gechtchte. III. 17
	        
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