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V e r k ehrs mit Brotgetreide und Mehl. Die Neuord
nung trat am 1. Februar 1915 in Kraft.
Die feierlichen Ansprachen, mit denen bundesstaatliche Mini
sterien das Wagnis dieser Verordnung bei der Verkündung begleite
ten, verzichteten auf jede Begründung und wiesen nur schlicht auf die
staatliche und nationale Lebensnotwendigkeit hin. Aus der
Not war die Korn-, Mehl- und Brotwirtschaft geboren, und für
alles Notgeborene hat unser Volk, das nicht ohne Grund in seinem
Volksepos der niblungen not besingt, stets unmittelbare Auf
fassung gehabt. So wurde diese Zwangswirtschaft wie eine Er
lösung aus schwerer Not begrüßt und in ihrer Tragweite sofort ge
billigt. „Der Hebel am Schaltbrett der deutschen Kornwirtschaft ist
plötzlich umgeschaltet," schrieb ein landwirtschaftlicher Führer in
Süddeutschland. „Die zwangsläufige Regelung wird uns vor
dem Hunger retten," antwortete ein norddeutscher Arbeiterführer.
Die Fachpresse und besonders die Tageszeitungen waren uner
müdlich in Aufsätzen und kleinen Hinweisen bemüht, über die Not
wendigkeit dieser Zwangsordnung wie über die Einzelheiten ihrer
Ausführung aufzuklären. Wochenlang erhielt das Reichsamt
des Innern für diese Tat Dankbriefe aus allen Landesteilen
und allen Schichten unseres Volkes. Bedenken wurden kaum
geäußert. Klagen in den ersten Monden nicht erhoben. Die
Landwirte ergaben sich willig darein, daß ihnen die Ver
fügung über ihre Brotfruchternte genommen, die Möglichkeit zur
Verfütterung abgeschnitten und ihr eigener Brotverbrauch auf ein
Höchstmaß herabgesetzt wurde; sogar die Kriegs-Getreidegesellschaft
mit ihren Kommissionären wurde ihnen in der Not erträglich. Die
städtischen Brotesser waren mit der kleinen, aber regelmäßig zuge
teilten Brotmenge zufrieden und gewöhnten sich schnell an die Brot
karte. Müller und Bäcker sahen ein, daß sie in ihrer Tätigkeit stark
beengt und ständig überwacht werden müßten. Selbst Händler,
Brenner und alle anderen Korn oder Mehl verarbeitenden Indu
striellen fügten sich ohne Murren der Notwendigkeit, zeitweilig in ihrem
Betriebe völlig lahm zu liegen.
Die umfassende Zwangswirtschaft setzte sich ohne
Schwierigkeit durch; jedermann fühlte ihre Notwendigkeit und war
bereit, zum Wöhle der Gesamtheit einiges Weh auf sich zu nehmen.
Wohl sahen freilich die meisten in dieser Regelung nur etwas Vorüber
gehendes und hofften, daß sie bald und jedenfalls mit dem bevor
stehenden Frieden wieder verschwinden würde. Die Leitung der
Kriegs-Getreidegesellschaft stellte ihre Bedenken nach längeren Ver
handlungen zurück, erklärte sich zur Mitarbeit bereit und nahm sie