Full text: Verhandlungen des Industrierates über den Ausbau und die Reform der Arbeiterversicherung

also den Schadenersaß im Rahmen der privatrecht- die Kranken- und Invalidenversicherung, für die ein 
lichen Haftung weit unterboten. Man hat sich aber der Haftpflicht analoger Rechtstitel kaum gefunden 
damit abgefunden, weil sie andrerseits auch dann in werden kann, so gar nichts bedeuten? 
Aktion tritt, wenn ein Anspruch nach den §§ 1325 
bis 1327 a. b. G. B. nicht besteht. Müßten also bei Betrachtet man aber die Wechselbeziehungen 
Entfall der Unfallversicherung die früheren Schaden- zwischen Kranken- und Invalidenversicherung einer- 
ersatprozesse wiederaufleben, so gelte dieses im gleichen seits und Unfallversicherung andrerseits, so gewinnt 
Maße auch hinsichtlich der vielen nicht entschädigten man die Überzeugung, daß dieselben noch viel innigere 
Unfälle und da das Recht nicht petrifiziert werden sind und geradezu danach drängen eine Vereinheit- 
kann, so würde sich eben ein neues Haftpflichtrecht lichung zu erfahren. Die Notwendigkeit dieser Ver- 
herausbilden. Fast sollte man meinen, daß eben durch schmelzung hat Dr. Freund in wenigen Sähten 
die soziale Fürsorge ein neues Recht ins Leben gerufen zwingend bewiesen: „Invalidität ist in den weitaus 
und vielfach kodifiziert wurde und die Frage der Haft- meisten Fällen der Abschluß einer längeren oder 
pflicht nur für die in den §§ 183 bis 185 des kürzeren Krankheit; die Stammgäste der Krankenkassen 
Reformprogrammes vorgesehenen Fälle in Betracht sind die Anwärter für die Invalidenrente", jede Aus- 
kommen kann; bieten doch die Unternehmer für diese gabe für die Krankenfürsorge kommt in letter Linie 
Konzession ein nicht gering zu veranschlagendes der JInvalidensicherung zu gute." „Jedem Kranken 
Aquivalent, indem sie die Mittel beisteuern, durch wird solange Krankenfürsorge zu teil, bis er entweder 
welche auch jene Unfälle entschädigt werden, gesund ist oder als Invalide erkannt wird.“ 
die nicht unter die Haftpflicht subsumiert ; 
werden und indem unter ihrer Beihilfe nicht nur der Es ist das ein Gedanke, der auch in dem Pro- 
Unfall, sondern auch die allgemeine Invalidität gramme Aufnahme gefunden hat, denn auf ihn sind 
und die Krankheit der Wohltaten teilhaftig zweifellos die Bestimmungen der §§ 84 und 93 teil- 
werden. weise zurückzuführen. 
Wenn nun Professor Menzel weiter ausführt, Allen diesen Einwänden stehen die Vorteile der 
daß in dem Falle als die Unfallversicherung zu be- richtigen Fürsorge für den Erwerbsunfähigen oder für 
stehen aufhört, die Arbeiter und der Staat einen Teil die Minderung der Erwerbsfähigkeit, das rasche Ein- 
jener Kosten, welche bisher der Unternehmer allein heitliche der Hilfe, des zweckentsprechenden Heilver- 
getragen hat, übernehmen, so mag er im Prinzipe fahrens zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit, 
recht haben. Die Antwort darauf ergibt sich aber bei die Vermeidung aller Kompetenzstreitigkeiten auf 
Besprechung des nächsten Einwandes, daß bei einer Kosten des Unterstütungsbedürftigen, die wenig 
Verschmelzung mit der Invalidenversicherung die Ab- komplizierte Verwaltung, die Vermeidung von Doppel- 
stufung der Beiträge für die Unfallversicherung und unterstützungen und die finanzielle Ersparnis, be- 
damit ein wichtiger Anreiz zur Verhütung von Un- ziehungsweise die Möglichkeit, mit den gleichen Mitteln 
fällen in Wegfall kommt. Die bisherige Erfahrung viel intensiver wirken zu können, gegenüher. Was aber 
lehrt nicht, daß die geringe Differenzierung der Prämie die Verschmelzung der drei Verssicherungszweige 
für die Unfallversicherungszwecke ein besonderer dringend geboten erscheinen läßt, ist die immer wieder- 
Ansporn für die Unfallverhütungsmaßnahmen gewesen kehrende Forderung einer durchgreifenden Witwen- 
sei; sind derartige Einrichtungen getroffen worden, und Waisenversorgung und die Ausdehnung der Ver- 
was wohl niemand leugnen wird, so mag daran neben sicherung auf selbständig erwerbende Personen. 
der Einwirkung der Gewerbebehörden wohl auch ein Hat doch die letzte Zeit in diesem Belange zwei 
wenig die Einsicht der Unternehmer, denen als beachtenswerte Kundgebungen gebracht, einerseits 
Menschen nicht alles Menschliche fremd ist, mitgewirkt den Antrag Dr. Lueg ers, andrerseits viel präziser 
haben. Allerdings pflegen sowohl Arbeiter als auch die Ausführungen des Ministerpräsidenten in der 
gelehrte Sozialpolitiker über derartige Erscheinungen Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 18. Juli 1907. 
tühl hinwegzugehen. Übrigens entkrästet Professor „Dabei wird zu erwägen sein“ sagte der Minister- 
Menzel den Einwand selbst, indem er es als mög- präsident, „wie weit den Wünschen nach Ausdehnung 
lich bezeichnet, daß durch Einführung besonderer Zu- der Altersverssicherung auf selbständig erwerbende 
schläge, abgestuft nach den Gefahren des Betriebes Bevölkerungskreise Rechnung getragen, namentlich, 
diesen Bedenken einigermaßen Rechnung getragen ob dies im Rahmen der Arbeiterversicherung erfolgen 
werden könnte. Gewiß werden solche Zuschläge not- kann. oder ob wegen der besonderen Verhältnisse und 
wendig, aber jedenfalls viel geringer sein, als die der verschiedenen Bedürfnisse dieser Kreise die 
heutigen Unfallversicherungsbeiträge und wenn durch Schaffung besonderer Einrichtungen erforderlich ist.“ 
diese Zuschläge noch immer nicht ein genügendes 
Äquivalent für die ersterwähnten, in Wegfall kommen- Es ist klar, daß selbst bei Schaffung besonderer 
den Leistungen geboten sind, so wirft sich die Frage Einrichtungen eine möglichst innige Angliederung 
auf, ob dann die Zuschüsse der Unternehmungen für derselben an die Arbeiterversicherung eintreten müßte,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.