Bürgerliche Journalisten, die sich ihre Sohlen am Moskauer
Pflaster und in den Moskauer Kaffeehäusern abgelaufen haben, können
die „Wahrheit'“ über die Sowjetunion erzählen, die Arbeiterdelegationen
dagegen, die die Fabriken aufsuchten, unser Proletariat und unseren
Staat bei der praktischen Arbeit beobachteten, können nicht als ernste
Zeugen „in Sachen der russischen Revolution‘ gelten.
Ein Herantreten an die Delegationen und ihre Tätigkeit vom
Klassenstandpunkt aus ist unvermeidlich. Hinge das Schicksal der
Bourgeoisie davon ab, daß zwei mal zwei vier sind, so würden sich
schon Gelehrte und Journalisten finden, die mit Hilfe der Mathematik
und Philosophie nachweisen würden, daß zwei mal zwei fünf ist.
Die Arbeiter reisten und reisen nach der USSR. auch noch des-
wegen, weil sie freundschaftliche Beziehungen mit den Arbeitern des
Landes anknüpfen wollen, von denen sie viele Jahre durch Draht-
verhaue getrennt waren. Auf welchem Niveau sich der sozialdemo-
kratische Arbeiter aber auch bewegen mag, er weiß, daß der Haß der
Bourgeoisie gegen Sowjetrußland nicht ihrer Liebe für demokratische
Verwaltungsformen entstammt. Er kennt die Einstellung seiner „„demo-
kratischen‘ Regierung zum Faschismus und zum Bolschewismus und
zieht daraus seine Schlüsse.
Es muß noch gesagt werden, daß die überwiegende Mehrheit der
Delegationen von ihrem Aufenthalt in der USSR. den Eindruck mit-
brachten, daß die Oktoberrevolution für das Proletariat günstig ist,
und dieser Eindruck ist für die sozialdemokratische Theorie und Praxis
geradezu vernichtend.
In wessen Händen liegt die Macht?
Das ist die erste Frage, die sich jeder, der nach Rußland kommt,
vorlegt, Sie interessiert im besonderen die Arbeiter, deren Reise von
Ger gegnerischen Presse zu Verleumdungszwecken benutzt wird. Die
Sozialdemokratie behauptet von jeher, daß die Macht in der USSR.
nicht in den Händen des Proletariats liegt. Die Theoretiker der
Sozialdemokratie haben sich lange den Kopf zerbrochen, hin- und her-
geraten über das soziale Wesen des Sowjetstaates. Daß die Bourgeoisie
und die Großgiundbesitzer ausgespielt haben, war offensichtlich. Also
mußte nach der marxistischen Lehre entweder das Proletariat oder
die Bauernschaft die leitende Rolle spielen. Die sozialdemokratischen
Politiker boten ihr ganzes Talent auf, um den proletarischen Charakter
der Sowjetmacht zu leugnen und nachzuweisen, daß sie eine merk-
würdige historische Mischung darstellt, deren sozialer Struktur nichts
Proletarisches anhaftet. Wohl hatten die Sozialdemokraten seinerzeit
behauptet, die Sowjetregierung wäre auf die Unterstützung der Solda-
teska angewiesen, .sie konnte jedoch nicht erklären, warum das In-
dustrieproletariat der Sowjetmacht bedingungslos vertraut, warum
gerade das Industrieproletariat im Kampfe gegen die äußere und innere
Konterrevolution die größten Opfer gebracht hatte.
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