1. Die Besonderheit und das Ziel der Erhebung.
Der Haushalt des Kaufmannsgehilfen ist in Deutschland noch nie—
mals zum Gegenstand einer größeren statistischen Untersuchung gemacht
worden. Wir kennen lediglich die Einnahmengestaltung und Bedürfnisver⸗
teilung von 19 Kaufmaunsgehilfenfamilien aus dem Jahre 1907, die ge—
legentlich einer größeren Erhebung des Kaiserlichen Statistischen Amtes)
miterfaßt worden sind. Zu einer Beurteilung der Lebenshaltung der. Kauf⸗
mannsgehilfen konnte dieses spärliche Material naturgemäß nicht einmal in
der Vorkriegszeit dienen. Es ergab sich daher seit der Schaffung einer festen
Währung, d.h. seit dem Zeitpunkt, an dem wieder ziffernmäßig vergleich⸗
bare Anschreibungen der Einnahmen und Ausgaben eines Haushaltes statt⸗
finden konnten, in Deutschland die dringende Aufgabe, eine statistische Er⸗
hebung über die bisher unbekannte Bedürfnisverteilung dieser sozialen
Gruppe anzustellen. Aus den obenerwähnten Friedensbudgets konnte man
schon mit einer gewissen Deutlichkeit ersehen, daß die Kaufmannsgehilfen ihr
Einkommen in einer von anderen Berufsgruppen abweichenden Art ver—⸗
wandten, ja auch aus anderen Quellen bezogen. Die Besonderheit
der vorliegenden Erhebung liegt also vor allem darin, daß nur ein ein—
zelner Berufsstand'), und zwar der des Kaufmannsgehil—
fen zum Gegenstand einer statistischen Untersuchung gemacht worden ist. Die
dadurch gegebene Gleichartigkeit des Materials gestattet, Erkenntnisse aus den
statistischen Ergebnissen zu schöpfen, ohne daß die Gefahr bestünde, daß z. B.
die Verschiebungen in der Bedürfnisverteilung bei verschiedenen Einkommen
durch die veränderte Lebenshaltung verschiedener Berufsaruvven verwischt
würde.
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist, festzustellen, wi e die Kauf⸗
mannsgehilfenals soziale Gruppeder Arbeitnehmer
ihre Bedürfnisse befriedigen, wie sie in typischvon
anderen Berufen abweichender Art und Weise ihr
Einkommen verwenden. Die Gruppierung der durch Befragung der
einzelnen Haushalte gewonnenen Einnahmen und Ausgaben nach vers chiedenen
Einkommensstufen, nach der Größe des Wohnortes und nach der Kopfzahl
der Familie oder die schärfere Betrachtung einzelner Ausgaben (Wohnung,
Erholung)-in Verbindung mit den besonders erfragten Verhältnissen ge⸗
statten einen tiefen Einblick in die Lebenshaltung dieses Berufsstandes. Wenn
auch das notwendige Vergleichsmaterial aus der Vorkriegszeit, da eben noch
niemals der Haushalt des Kaufmannsgehilfen erforscht worden ist, fehlt, so
kann doch aus dem Vergleich der Lebenshaltung der weniger bemittelten Be⸗
rufsangehörigen mit den bessersituierten die sehr wichtige Erkenntnis ge⸗
) Veröffentlicht im 2. Sonderheft zum Reichsarbeitsblatt 1900 „Erhebung von
Wirtschaftsrechnungen minderbemittelter Familien im Deutschen Reiche.“
2) Schon 1820 wies Adolf Gůnther (Schriften des Vereins für Sozialpolitik,
146. Band: „Die Lebenshaltung des Mittelsiandes“, Seite 8) darauf hin, daß die Be⸗
ziehung zwischen Verbrauch, Einkommen und Kopfzahl der Familien noch keinesfalls zur
Erklärung der Verbrauchsvorgänge ausreicht. Er sagte: „Mindestens gleich wichtig ist
der Beruf und die Standeszugehörigkeit des Haushaltsvorstands; diese strahlen wichtige
Beeinflussungen der Lebenshaltung, besonders der Wohnunasausaabe, oder auch der
Nahruna aus.“