können diese sie allzeit über die Klinge springen lassen; anderseits
ist die Möglichkeit eigener Willensäusserung für. fortschritt-
liche und demokratische Gruppen gross genug, um auch wirkliche
Männer des allgemeinen Vertrauens zu politischer Macht zu
bringen. Um eine festsitzende Herrenklasse erstarren und kristalli-
sieren zu lassen, sind die Verhältnisse zu sehr im Fluss, die neu
entstehenden Möglichkeiten noch zu zahlreich, die wirtschaftlichen
Gewichtsverschiebungen in dem gewaltigen Raume zu häufig. Auch
manche andere, noch später zu betrachtende Umstände verhindern
einstweilen die kastenmässige Abschliessung und gegenseitige
Fremdheit der Gesellschaftsschichten,
Mit dieser und den folgenden Darlegungen möchten wir beileibe
nicht den Schein vorgeben, als bestehe in Amerika eine durchweg
wünschenswerte Form sozialen Friedens — als bringe persönliche
Tüchtigkeit stets den gebührenden Rang und Erfolg. Nur die Tat-
sache muss von vornherein festgehalten werden, dass der sozialen
Schichtenbegrenzung noch die Schicksalhaftigkeit fehlt, die fort-
wirkt von Geschlecht zu Geschlecht. Dieser Umstand erklärt neben
anderen, und wohl an erster Stelle, dass der sozialistische Klassen-
kampf des kontinentalen Europas drüben keinen Wurzelboden fand.
2. Der wirtschaftliche Erfolg und die soziale Oberschicht.
Ungeahnte, kaum vorausberechenbare, im Umfang gewaltige
Möglichkeiten wirtschaftlichen Erfolges und sozialen Aufstiegs
gibt es in Amerika auch heute noch und durch die beschleunigte
Industrialisierung des Landes (die der Krieg ihm aufgezwungen
hat) sogar wieder erneut. Wieviel neue Reichtümer entstehen
und wieviel von einem Konto aufs andere rollen werden, wenn die
pazifische Küste ihren wirtschaftlich-kommerziellen Wettlauf mit
dem Osten im jetzigen Tempo fortsetzt, oder wenn eines Tages
die grossen Seen mit der Atlantis durch eine Wasserstrasse ver-
bunden werden, oder wenn die Rohstoffgewinnungen, namentlich
der Kohlenbergbau, die Orte ihres Schwergewichtes wechseln, oder
wenn Kansas und Oklahoma erfolgreich fortfahren, ihre Landwirt-
schaft westeuropäisch zu intensivieren, kann gegenwärtig noch
niemand sagen.
Die Wanderungen der Siedlerzeit gehören bis auf geringe Aus-
nahmen der Vergangenheit an, allein im Wirtschaftsleben herrscht
noch heute eine unaufhörliche räumliche Bewegung und Aus-
dehnung. Noch ist nicht jedem Wirtschaftszweig im engen, restlos
genutzten Raum sein Fleck zugewiesen, wie bei uns. In 40 Prozent
der heute betriebenen Bergwerke — so hat der Staatssekretär
Mr. Davis festgestellt — könnte alle verwendbare und absetz-
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