Full text: Grenzen in ihrer geographischen und politischen Bedeutung

überschreiten sollte und tausendjährige Weiderechte und Ver- 
kehrsbeziehungen beständig so ähnlich durchschneidet, wie 
das z. B. die ungarische, rumänische und südslawısche Grenze 
im ehemaligen Ungarn tut. Welche Linie-war, um nur jüngste 
Erinnerung zu befragen, im Kriege wirklich da, wo sie ein- 
gezeichnet wurde? Sehr selten in Wahrheit — sonst hätte nicht 
der böse Lateinerscherz: „Fraus — die Morgenmeldung!“ auf 
so allgemeines Verständnis rechnen können. 
Ich selbst erinnere mich einer Kirche von Sulta in den Kar- 
pathen, die auf österreichischen und rumänischen Karten in 
einer sonst zweifelhaft kartierten Gegend als einigermaßen 
einwandfrei eingezeichnet galt, auf deren gesicherter Lage zahl- 
reiche Befehle fußen zu können glaubten; als wir aber endlich 
notgedrungen dem Problem ihrer wirklichen Lage mit Mitteln 
der Wissenschaft und moderner Meßkunst zu Leibe gingen, 
konnten wir den Nachweis führen, daß sie um mehr als einen 
Kilometer „falsch“ lag. Da man Kirchen aber nicht spazieren 
trägt, müssen wohl die Karten falsch ausgesagt haben. Auf 
diese Kartenlüge waren aber Angriffe, unzählige Grenzen 
zwischen Abschnitten usw. gebaut gewesen. 
Die Praxis des Grenzenmachens stößt vor allem auf 
zahlreiche Restzustände (Rudimente), mit denen sie sich aus- 
einandersetzen muß. „Dienstbarkeiten“, zusammenhaltende 
Kleinräume, kartographisch erfaßbare und nicht eingetragene, 
überlieferungsmäßige Zustände der Grenzgesellschaft immate- 
rieller und materieller Art, Durchfahrtsrechte, Weiderechte, 
religiöse Territorialansprüche aus uralter römischer Provinzial- 
einteilung, Kulturgebilde aus längst verschollenen Reichs- 
bildungen, politische Neidzipfel, wirtschaftlich wichtige Fluß- 
zutritte, Tränkrechte, Mutungen auf Bodenschätze müssen ab- 
gewertet werden. Zeichen früherer Instinktlosigkeit, Spuren 
juristischer Rechthaberei wirken sich aus; aber freilich auch 
beharrliches Festhalten von Ansprüchen und Rechten, wie 
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