Full text: Grenzen in ihrer geographischen und politischen Bedeutung

ein tröstliches Ergebnis feststellen: die überlegene Stärke des 
Kulturwillens gegenüber der reinen Macht und Vergewaltigung, 
aber auch gegenüber der Wirtschaftskraft als das Beobachtungs- 
ergebnis langer, säkularer Grenzentwicklung. Wir erkennen in 
Ausbau und Rückbildung so riesiger organisierter Grenzräume, 
wie des indischen und chinesischen Kulturkreises — die wir 
nun bei der Einzeluntersuchung des indischen Nordwest-Grenz- 
streifens betrachten wollen —, wie bei dem Mikrokosmus einer 
einzelnen Wachstumsspitze doch immer wieder Natur, „wie sie 
das Feste läßt zu Geist verrinnen, wie sie das Geisterzeugte fest 
bewahre ...!“ Darin liegt Trost: denn geistige Waffen allein 
sind uns bei unserer Grenzorganisation geblieben, und eben sie 
sehen wir auf die Dauer siegreich, wenn man nur den Willen 
behält, sie anzuwenden. Denn eben darum handelt es sich ja, 
das fremde Feste, die Gewalt und ihre Stützen verrinnen, das 
eigene Geisterzeugte aber fest bewahren zu lassen. Jung-China 
in seinem Kampf gegen den Imperialismus macht es uns vor, wie 
man die Aufgabe in großem Stil angehen muß. 
In der Tat zeigt der Grenzschutzgürtel, der die ostasiatische 
Kultur bis heute, die indische doch mindestens bis zum Ein- 
dringen der Fremdgewalt über See her (mit der wachsenden 
Tonnage des Massenverkehrs) zu erhalten vermochte — so daß 
die Aufgabe ihrer Angleichung an die westliche Zivilisation 
jetzt wohl die größte der Menschheit bildet —, wohl die groß- 
artigste Entwicklung kulturgeographischer und politischer 
Grenzorganisation im Lichte viertausendjähriger geschichtlicher 
Bewegung und Erfahrung. 
Alle europäischen Grenzprobleme, selbst die aus der Erb- 
schaft des hellenistischen und römischen Weltreichs stammen- 
den, sind demgegenüber verhältnismäßig jung, was man wegen 
der einseitigen Frisierung der Geschichte der Mittelmeerländer 
als Weltgeschichte bei uns leicht vergißt; und sie sind zumeist, 
diesem Grenzproblem gegenüber, kleinräumig. 
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