lich sozusagen vergessen werden. Abgesehen von den kritischen
Erfahrungen und der angeborenen Persönlichkeit wird die wirk-
liche Persönlichkeit auch durch vorübergehende, rein somatische
Zustände bestimmt. Der Mensch ist intellektuell und überhaupt
hinsichtlich seiner Persönlichkeit ein anderer, je nachdem er
körperlich gesund oder krank, älter oder jünger ist. Infolge
solcher wechselnder somatischer Einflüsse (zu denen auch die
körperlichen Grundlagen der Ermüdung, der jeweilige Zustand
der Geschlechtsdrüsen, sowie Gehirnstörungen verschiedenster
Art gehören) und der kritischen Erfahrungen ist die wirkliche
Persönlichkeit nicht nur in pathologischen Fällen wie bei Epi-
leptikern und Hysterikern, sondern auch schon im gewöhnlichen
Leben einem häufigen Wechsel unterworfen. Sie erleidet in jedem
Moment unter dem Einfluß kritischer Erfahrungen und körper-
licher Faktoren der angedeuteten Art eine bestimmte Einstellung,
so daß man, wie wir schon sahen, auch geradezu von momentaner
Persönlichkeit sprechen kann. Natürlich brauchen aber die
neuen Kinstellungen der Persönlichkeit nicht immer ihr ganzes
Wesen zu betreffen. Sie werden sich vielmehr oft nur auf ein-
zelne Seiten derselben beziehen. Auch können sie, wie beim
leichten Affekt, ganz vorübergehender, sozusagen flüchtiger
Natur sein oder prinzipielle Bedeutung haben und die Persön-
lichkeit auf längere Zeit ganz oder in einzelnen Teilen um-
gestalten. Diese nachhaltigen Einstellungen der Persönlichkeit
sollen als habituelle bezeichnet werden. Sie können plötzlich er-
folgen, wie dies bei Luther im Zusammenhang mit dem Gewitter
vom 2, Juli 1505 der Fall war, oder ganz allmählich stattfinden.
Habituelle Einstellungen der Persönlichkeit zu vollziehen, ist ein
Hauptziel der Erziehung.
Alle Erziehung, so pflege ich in meinen pädagogischen Vor-
lesungen. zu sagen, ist entweder eine Erziehung zum Wissen,
Können, Werten oder Wollen und Handeln. Das Wissen eines
Gegenstandes besteht lediglich in der Fähigkeit, richtige Urteile
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