Gesetz der sinkenden Produktivkräfte der Landwirtschaft „sich
geltend zu machen, m. a. W. der Preis der Bodenprodukte-ständig
zu steigen. Aber bis in die Siebziger blieb doch das Verhältnis
zwischen Ziffer und Boden, das »wirtschaftliche Grundverhältnist —
wie Wagner es zu nennen pflegte — So, daß Deutschland, ’alle.
Kornarten zusammengenommen, nur wenig mehr importierte als
es exportierte?; d. h. die Ziffer hatte sich noch nicht derart
gemehrt, drückte noch nicht derart auf den Bodenspielraum, daß
die Industriestaatsfrage akut wurde. Schranken für den Verkehr
mit dem Auslande bestanden nur in ganz mäßiger Höhe. Seit
1865 war der Import von Lebensmitteln und der meisten Materi-
alien frei; 1873 wurde, für 1876, auch der Import von Roheisen
und Halbzeug ohne Entree gestattet; und der Export von Fabrikaten
erhielt durch die Handelsverträge der Sechziger immer freiere
Bahn.
Längere Zeit hindurch stieß diese Politik, welche List für
ein industriell erstarktes Deutschland gefordert hätte, auf nur
ziemlich schwache Opposition. Erst Mitte der Siebziger schwenkte,
geängstigt durch das jetzt rapide Anschwellen der fremden Korn-
konkurrenz, die bis dahin freihändlerische Landwirtschaft® ins
protektionistische Lager über; und setzte die von jeher pro-
tektionistische Schwerindustrie — die schwer unter der Krisis
litt, ihre Notlage aber weniger auf diese als auf den Freihandel
in Eisen schob — alle Hebel in Bewegung zwecks Rückgängig-
machung des »ruinösen« Gesetzes von 1872. Erst jetzt ent-
brannte der Streit zwischen denen, welche mit List den Export
von Fabrikaten hochtreiben, und denen, welche den Import von
Korn, Eisen usw. herabzwingen wollten.
Zunächst erhielt dank der Koalition der beiden früher feind-
lichen Brüder — der Koalition »zwischen Rittergut und Hochofen« —
durch den Tarif von 1879 mit seinem Schutz für Korn wie für Eisen
die industriestaatliche Entwicklung ein Widerlager, dessen Stärke
infolge der Verdreifachung (gegenüber. 1879) der Kornzölle im
Jahre 1885, der Verfünffachung im Jahre 1887 mehr und mehr
zunahm, Dann wurde — Abbau der Kornzölle in den von Caprivi
1891 bis 1892 geschlossenen Handelsverträgen mit Rußland usw. —
1 Im Bergbau machte es sich erst gegen Ende des Jahrhunderts geltend.
2? Vgl. L. Brentano, Die deutschen Getreidezölle, Stuttgart u, Berlin
1925. S.95: Mehreinfuhr von Roggen, Gerste, Hafer; Mehrausfuhr von Weizen.
3 Freihändlerisch deshalb, weil ihr der Druck, den das nur in geringen
Mengen (s. 0.) zuströmende fremde Korn auf den Kornpreis ausübte, weniger
ausmachte als die Verteuerung der Betriebsmittel, vor allem des Eisens, durch
die Industriezölle.