Der Ideengehalt der Weltwirtschaftskonferenz. 99
Denn Weltpolitik bedeutet wirtschaftliche Machtgewinnung durch im-
perialistische Mittel, Weltwirtschaftspolitik dagegen friedliche Über-
windung der Völker durch das demokratische Prinzip der Koordination
und Kooperation staatlich umgrenzter nationaler Volkswirtschaften.
Diese Weltwirtschaftspolitik soll in der nächsten Zukunft die Ten-
denz der Staaten und ihrer Volkswirtschaften sein, weil sie, nach Auf-
fassung aller kompetenten Wirtschaftsfaktoren, den Frieden der Welt
günstig beeinflussen könnte.
Nichts ist bezeichnender für die Ideale, von denen sich die maßgeben-
den Teilnehmer der Weltwirtschaftskonferenz haben leiten lassen, als
daß sie an die Spitze der „allgemeinen Resolutionen‘ die These setzten,
„daß die Aufrechterhaltung des Weltfriedens in weitem Maße von den
Grundsätzen abhängt, nach denen die Wirtschaftspolitik der Völker ein-
gerichtet und durchgeführt wird,“ und daß sie sich gleichzeitig an die
Regierungen und Völker mit der Empfehlung wenden, „gemeinsam und
unablässig ihre Aufmerksamkeit auf diese Seite des Wirtschaftspro-
blems zu richten“ 1.
Allein mit dieser allgemeinen Stellungnahme soll ‚es nicht sein Be-
wenden haben. Die Hindernisse des Friedens liegen nicht nur auf wirt-
schaftlichem Gebiete, unmittelbarere Gefahren drohen durch das noch
immer anhaltende Wettrüsten auf militärischem Gebiete. Die Konfe-
renz von Brüssel im Oktober 1920 ist, auf. Grund der trostlosen Staats-
finanzen im damaligen Europa, energisch für das allgemeine und gleich-
zeitige Abrüsten eingetreten. In den darauf folgenden drei Jahren kön-
nen tatsächlich bemerkenswerte Anstrengungen zur Herabsetzung der
militärischen Ausgaben verzeichnet werden. Seither ist jedoch eine
Stagnation. eingetreten. Die Kosten der Landesverteidigung belaufen
sich — ‚wenn man von den Kriegspensionen absieht — jährlich auf
19 Milliarden Goldfranken für die gesamte Welt, auf 11—12 Milliarden
nur für Europa. Leiztere Summe ist nahezu dieselbe, die im Jahre 1913
verausgabt wurde, und ihre Höhe kann an der Tatsache gemessen wer-
den, daß sie die Gesamtsumme der Kapitalien übersteigt, die Europa
in den vier Jahren 1923—1926 von Amerika geliehen bekam ?). Ange-
sichts solcher Daten konnte die Konferenz nicht umhin, festzustellen,
„daß die Welt in ihrer Gesamtheit immer weiter für Rüstungszwecke
und Kriegsvorbereitungen erhebliche Summen opfert, die das für die
Entwicklung der Industrie, des Handels und der Landwirtschaft verfüg-
bare Kapital verringern und die Finanzen der verschiedenen Staaten
schwer belasten, indem sie sie zur Erhebung hoher Steuern veran-
1) Der bezügliche Resolutionsentwurf wurde im Namen der Arbeiterorganisationen
Großbritanniens von Arthur Pugh eingebracht und einhellig angenommen. Siehe Jour-
nal, Nr. 18 vom 24, Mai 1927.
*) Die Daten stammen vom schwedischen Delegierten QOerne, der den Resolutions-
antrag zur Herabsetzung der Rüstungsausgaben eingebracht hat. Siehe Joumal Nr, 18
vom 24. Mai 1927.