10 1. Abschnitt. I.
Die Skeptiker haben darin recht, daß von einer Weltwirtschaft in
dem Sinne, wie von den staatlich umgrenzten und politisch geführten
Verkehrswirtschaften der einzelnen Völker, nicht gesprochen werden
kann. Es gibt keinen Weltstaat, der ihr Träger, es gibt kein Weltrecht,
das ihr Ordner, es gibt kein Weltgericht, das ihr Vollstrecker wäre. In
der Weltwirtschaft stehen souveräne Staaten einander gegenüber, und
die zahllosen Verknüpfungen der aufeinander angewiesenen Staaten
stehen entweder unter dem Schutz der Staatsverträge oder häufiger
nur dem Schutze der öffentlichen Moral, der sich kein, auf seinen Ruf
bedachtes Volk, ohne Folgen auf die Dauer entziehen kann.
Die Zusammenhänge in der Weltwirtschaft sind ebenso vielfältig und
verschiedenartig, wie in den miteinander verkehrenden Privatwirtschaf-
ten. Die Ein- und Ausfuhr von Waren, die Abwicklung des internatio-
nalen Verkehrs, die Ein- und Auswanderung, ausländische Kapitalan-
leihen, ausländische Zahlungen sind ausnahmslos weltwirtschaftliche
Erscheinungen. Und wenn auch die Bindungen der Weltwirtschaft in-
folge des an vielen Punkten fehlenden oder mangelhaften Rechtsschut-
zes und Rechtszwanges loser sind als die Bindungen der staatlichen
Volkswirtschaften, so bleiben die einzelnen Nationalwirtschaften doch
nicht minder aufeinander angewiesen, als die Privatwirtschaften.
Diese gegenseitige Abhängigkeit wird durch die Entwicklung des
Weltverkehrs und die sonstigen Errungenschaften der Technik von Tag
zu Tag vertieft, und die Ausgestaltung der Weltwirtschaft erfährt auch
durch die rasch zunehmende Zahl der vertragsmäßigen Abkommen der
Nationen. eine Förderung. Noch vor hundert Jahren standen nicht nur
die verschiedenen Länder, sondern selbst benachbarte Städte und Ge-
meinden einander wirtschaftlich fremd. und abgesondert gegenüber,
Heute vermögen selbst mächtige Kontinente, wie die Vereinigten Staa-
ten. von Amerika, ihre Produktion und ihren Verbrauch nicht unab-
hängig vom wirtschaftlichen Schicksal. der übrigen Kontinente zu ge-
stalten. Die gesamte Wirtschaftstätigkeit der voneinander abhängigen,
aufeinander angewiesenen Nationalwirtschaffen ergibt die Weltwirt-
schaft 1). Die Weltwirtschaft schöpft ihre Kraft aus der Wirtschaft der
Auch die Weltwirtschaftskonferenz war als „Conference &conomique internationale‘ ge-
plant, aber sie ist schon in den Vorbereitungsarbeiten zu einer „world economic con-
ference‘“ geworden, deren Unterlagen nicht bloß die internationalen Zusammenhänge der
einzelnen staatlichen Volkswirtschaften prüfen, sondern ein synthetisches Bild der Welf-
wirtschaft als Ganzes, („visent le monde dans son ensemble‘), zu geben versuchen.
. ,*) Die hier vertretene Auffassung ‚von der Weltwirtschaft steht nicht im. Widerspruch
mit dem Standpunkte ‚derer, die das organische Wesen der Weltwirtschaft - ver-
neinen.. Es muß aber einerseits anerkannt ‘werden, daß „es sich bei dem, was man
Weltwirtschaft nennt,..um kein loses Aggregat, um keine bloße ‘äußerliche, gedank-
liche oder begriffliche Summierung der einzelnen Volkswirtschaften handle“, daß sıe
„vielmehr ein ‚Netz recht realer und wichtiger Beziehungen der einzelnen Volkswirt-
schaften untereinander darstellt“. Andererseits kann zugegeben werden, daß „die ein-
zelnen Volkswirtschaften sich niemals derartig zu einer Einheit zusammenschließen,
wie dies innerhalb der großen Nationen geschah, als sie, durch einen bewußten Staats-