30 1. Abschnitt, IV.
konnte, so war es gezwungen, Menschen zu exportieren. Heute ist
Europa selbst diese traurige Alternative versagt. Die weltwirtschaftlich
wertvollsten Gebiete sind nicht nur dem Waren-, sondern auch dem
Menschenüberschuß Europas verschlossen. Der Völkerbund wäre wohl
in der Lage, im Wege des ihm angegliederten. Arbeitsamtes zwischen
den Ländern mit einem auswanderungsbedürftigen Menschenmaterial
und den Einwanderungsgebieten zu vermitteln, den letzteren die Verläß-
lichkeit und Arbeitsfähigkeit der Auswanderer zu garantieren. Das
wichtige Problem der Wanderungen wurde augenscheinlich wegen der
heiklen Frage der chinesischen, japanischen, indischen usw. Auswan-
derung von der Tagesordnung ferngehalten. Mit der Ausschaltung der
Frage der Wanderbewegungen wurde eine wichtige Quelle verstopft,
aus der lindernde Mittel für die Krise hätten geschöpft werden können.
Zusammenfassend kann man sagen, daß die Ursachen der Übel
der Weltwirtschaft sehr vielfältig sind und tief in dem wirtschaftlichen
Organismus der Welt wurzeln. Die periodisch auftretenden Krisen der
Vorkriegszeit waren: leichte Influenzaepidemien im Vergleiche zu der
gegenwärtigen beiderseitigen Lungenentzündung. Wenn damals eine
vorsichtige Dosis Aspirin noch wirkte, so können die Übel von heute
nur mit drastischen Mitteln und durch Kräftigung des ganzen Orga-
nismus bekämpft werden. ;
Was konnte man unter solchen Umständen von der Weltwirtschafts-
konferenz erwärten?
IV. Die Hoffnungen auf die Weltwirtschaftskonferenz.
Als die Idee der Weltwirtschaftskonferenz auftauchte, nahm man an,
daß die Konferenz unmittelbar praktische Ziele verfolgen werde und
daß bei derselben die wirtschaftlich stärkeren Staaten den schwächeren
zu Hilfe kommen werden. Diese Auffassung wurde insbesondere in
Deutschland allgemein, wo die Revision des Dawesplanes als eine Auf-
gabe der Konferenz betrachtet wurde.
Eine solche Auslegung der Konferenzziele erwies sich bald als Irr-
tum. Bereits in der ersten Kommissionssitzung des Völkerbundes in
Angelegenheit der Weltwirtschaftskonferenz, die im Herbst 1925 in
Genf gehalten wurde, wies der ; Leiter der englischen Delegation ent-
schieden jedes Bestreben nach dieser praktischen Richtung mit der Er-
klärung Zurück, daß die englische Regierung die Könferenzidee sich nur
zu eigen machen könne, wenn die Frage der internationalen Schulden,
sowie der internationalen Wanderungen und des Arbeitsverhältnisses
aus den Erörterungen ausgeschaltet würden. Im Laufe der Vorbereitung
gewann die Idee und später auch das offizielle Programm der Kon-
ferenz einen in steigendem Maße abstrakten Charakter, so daß sich der
Konferenzstoff eher für die Arbeitsstuben der Volkswirtschaftler und
für die Vortragsabende der volkswirtschaftlichen Gesellschaften, als zur
Erwägung der für Entscheidungen zuständigen Faktoren geeignet hätte,
und es ist nur dem Mute einiger hervorragender Konferenzteilnehmer