2, Abschnitt.
man die tieferen Gründe, durch welche einzelne Länder gezwungen
sind, für ihre überflüssigen Arbeitskräfte neue Ernährungsmöglichkei-
ten. zu schaffen, unbeachtet läßt. Die nach dem Kriege behinderte Aus-
wanderung, die amerikanischen Immigrationsvorschriften fanden aber
in den Beschlüssen der Konferenz keine Berücksichtigung. Befürchtun-
gen politischer Art waren es auch, die die Idee einer europäischen
Zollunion und den bescheidenen Plan einer mitteleuropäischen Wirt-
schaftsgemeinschaft nicht in Erwägung ziehen Leßen.
Die Bedeutung der Konferenz ist aber weder nach den momentanen
Erfolgen, noch an den Lücken der Beschlüsse zu messen, sondern nach
den Beweggründen zu werten, welche die Vertreter aller Länder zu-
sammengeführt haben. Diese Beweggründe sind die psychische Um-
stellung der Gedanken auf die Zusammengehörigkeit der Kulturvölker
and ihre unlösliche Verflechtung in der Weltwirtschaft. Der geistige und
moralische Einfluß der Konferenz wird sich möglicherweise früher gel-
tend machen, als der wirtschaftliche; dieser wird aber auch nicht lange
ausbleiben können. Die Konferenz war die erste Gelegenheit, die Na-
tionen zu einem Prüfstein der wirtschaftlichen Vernunft, nicht der
wirtschaftlichen Gewalt zu machen. Sie ist der Ausgangspunkt für wei-
tere konkrete Arbeiten, zur Schaffung einer Atmosphäre, in der alle
Probleme verhandlungsfähig werden sollen. In seiner Schlußrede auf
der Konferenz erinnerte Präsident Theunis an die Worte, mit denen
er die Arbeiten des vorbereitenden Ausschusses der Weltwirtschaftskon-
ferenz eingeleitet habe, daß „die Wirtschaftskonferenz nicht als ein
vereinzeltes Ereignis zu betrachten sei, sondern als eine Etappe dau-
ernder internationaler Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem Gebiete,
die begann, ehe der Plan einer allgemeinen Konferenz auftauchte, und
die sich fortsetzen werde nach Beendigung der Konferenz“. Eine syste-
matische,. auf mehrere Jahre zerteilte Arbeit soll vollbringen. was die
Konferenz begonnen hat.
In dieser Einstellung reicht die Konferenzarbeit bis April 1926 zu-
rück, als das vorbereitende Komitee der Weltwirtschaftskonferenz seine
erste Tagung abhielt. Das vorbereitende Komitee mit seinen 35 Mit-
gliedern aus 21 Nationen und verschiedenen Wirtschaftsgruppen war
selbst eine Weltwirtschaftskonferenz im kleinen. Es soll in dem neu-
organisierten Wirtschaftskomitee des Völkerbundes seine Fortsetzung
Äinden und dafür sorgen, daß die Konferenz selbst nach ihrem Ab-
Schluß kein Ende nehme. sondern in. einer ständigen Organisation wei-
erlebe.
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Die offiziellen Verhandlungen der Weltwirtschaftskonferenz weisen
drei Etappen auf. Die erste umfaßt vier Verhandlungstage, die der all-
zemeinen. Aussprache über die weltwirtschaftliche Lage und der Stel-
lung der einzelnen Länder innerhalb der Weltwirtschaft gewidmet