Full text: Die Weltwirtschaftskonferenz

38 2, Abschnitt, 
gewerkschaften und das Kartell- und Trustwesen darstellen. Die Ten- 
denz zu einer relativen, Verteuerung der fertigen Waren hat allgemeine 
Gültigkeit für die ganze Welt; außer Zweifel leidet Europa am stärk- 
sten darunter. Europa gleicht einem Fabrikanten, der seine Preise zu 
hoch hält, und der dadurch gezwungen ist, ein großes Lager zu halten. 
Allerdings hat Europa nicht Fabrikate lagernd, sondern unverwendete 
Arbeitskräfte. Diese Lagerung der Arbeitskräfte hat einen sehr großen 
Preis. Die hohen Löhne der monopolartig geschützten Arbeitergruppen 
gehen zum Teil auf Kosten außenstehender Arbeiter. Die künstliche 
Verschiebung der Arbeitslöhne hat stark zur Verteuerung der industriel- 
len Produktion beigetragen und ist dadurch auch für den mangelnden 
Absatz der Industrieprodukte und für die außerordentlich starke und 
anhaltende Arbeitslosigkeit der Industrieländer mit verantwortlich. 
Cassel hat auf der Konferenz für seine Analyse der Weltlage nicht das 
erhoffte Verständnis gefunden, hat sie daher später in populärer Form 
unter dem Titel „Das Rätsel der Weltlage. Die Weltwirtschaftskonfe- 
renz hat versagt“ publizistisch verbreitet. 
Graf Bonin Longare (Italien) widmete als zweiter Redner warme 
Worte der wirtschaftlichen Tätigkeit des Völkerbundes, der seine Auf- 
gabe, die Sicherung des Friedens, nur erfüllen könne, wenn der Frie- 
densgedanke auch auf wirtschaftlichem Gebiete zur Auswirkung ge- 
lange. Viele Kriegsursachen, die früher Blut forderten, sind dank dem 
Fortschritte in unseren politischen Sitten aus der Geschichte ausge- 
schieden, Aber die wirtschaftlichen Konflikte und Rivalitäten befinden 
sich noch immer an der Wurzel internationaler Zusammenstöße. Das 
zann nur ein Ende nehmen, wenn sich die Überzeugung Bahn bricht, daß 
das Wohlergehen eines Landes stark von demjenigen der anderen ab- 
hänge. Der frühere englische Handelsminister Runciman kennzeich- 
nete als Vertreter der Internationalen Handelskammer den Inhalt der 
Denkschrift, die über die Hemmnisse des internationalen Handels unter 
Milwirkung von 22 Nationalkomitees der Konferenz vorgelegt wurde. 
Er wies auf die derzeitige verhängnisvolle Zollpolitik hin, aus der eine 
schrittweise Befreiung gesucht werden müsse durch den Abschluß von 
langfristigen Handelsverträgen und Stabilisierung der Zolltarife. Die 
kurzfristigen, immer wieder von neuem steigenden Zolltarife machten 
die früheren langfristigen Lieferungsverträge des Handels fast zu einer 
Unmöglichkeit, was sowohl die Produzenten wie die Konsumenten und 
nicht zuletzt die Arbeiterschaft schwer schädige. Eine Niederlegung der 
Zollschranken sei in unserer Generation wegen ungenügender Vorbe- 
reitung der öffentlichen Meinung kaum möglich, doch würde es schon 
von großem Nutzen sein, wenn in dieser Richtung ein gewisser Ein- 
Muß auf die Regierungen und Parlamente ausgeübt werden könnte in 
dem Sinne, daß die Zolltarife herabgesetzt, die Handelsverträge im 
Geiste gegenseitiger Verständigung abgeschlossen, die Tarifsätze sta- 
bilisiert und die Zollverzeichnisse vereinheitlicht werden. Der frühere 
Handelsminister Gliwic (Polen) erblickt die größte Schwierigkeit der
	        
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