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3. Abschnitt. ILE.
internationale Kartellierung der Industrie in den Mittelpunkt der welt-
wirtschaftlichen Erwägungen gestellt. Es fehlte nicht an gewichtigen
Stimmen, die in dem zwischenstaatlichen Zusammenschluß der natio-
nalen Industrien ein Allheilmittel der kranken Weltwirtschaft, ein
Werkzeug der Verkehrsfreiheit erblickten. Das Ansehen der Bewegung
wurde erhöht durch das Zustandekommen des kontinentalen Stahl-
pakts, der zwischen den Wirtschaften ehemals feindlicher Staaten
einen gangbaren Weg wies, zu einer Zeit, wo die staatliche Handels-
politik noch unsicher umhertastete. Man hat den Kartellierungsbestre-
bungen eine pazifistische Tendenz zugeschrieben und in den inter-
nationalen Abkommen ein Mittel der Völkerannäherung erblickt. Dem-
gegenüber waren die Stimmen, die auf die Gefahren der Kartelle hin-
wiesen, ganz vereinzelt. Yves-Guyots Warnungsruf!), daß die
Einführung des Kartellsystems in Europa eine Vertiefung der sozialen
Gegensätze bewirken werde, fand keinen Widerhall. Die Einwände
jer Arbeiter- und Konsumentenvertreter waren nicht gegen das System
der Kartelle selbst, nur gegen den Mangel an entsprechender Kontrolle
zerichtet 2).
Auf der Weltwirtschaftskonferenz vollzog sich ein Umschwung in
der Beurteilung der Kartelle. Die vielen gründlich durchdachten Vor
schläge der eingeholten Gutachten fanden wenig Beachtung, die Be-
Jenken mehrten sich zusehends, bis die Konferenz bei der Beschluß-
'assung von einer grundsätzlichen Resolution zugunsten der Kartelle
Abstand nahm. Die Konferenz hat festgestellt, daß die Erscheinung
versite de Zurich; Les ententes industrielles internationales et leurs
sonsequences sociales. La defense des travailleurs et des consommateurs par
William Oualid, professeur a l’Universite& de Paris; Les cartels internatio-
naux par D. H. Mac Gregor, professeur A !’Universite d’Oxford; Les cartels et
les trusts par le Dr. Kurt Wiedenfeld, professeur ä l’Universite de Leipzig;
Les cartels et les trusts et leur 6volution par Paul de Rousiers, pro-
fesseur A ]’Ecole des sciences politiques; Recent monopolistic tendencies in
industry and trade by Gustav Cassel, professor, Stockholm. Siehe hierzu auch
Prof. Liefmann: Die internationalen Kartelle, Weltwirtschaftliches Archiv,
April 1927; Yves-Guyot, La conference internationale des cartels.
Journal des conomistes, Mars 1927; Delaisi, Cartels and Democracy,
Toreign Affairs, April 1927; MacGregor, Recent papers on cartels,
2conomic Journal, June 1927,
1) La Conference des cartels im Journal des Economistes, März 1927,
2) In der ersten Sitzung des Vorbereitungskomitees (April 1926) hat der Führer der
freien Gewerkschaften Frankreichs, Jouhaux, im Namen der internationalen Gewerk-
schaften Frankreichs die Erklärung abgegeben, daß die Frage der überstaatlichen Zu-
sammenarbeit auf industriewirtschaftlichem Gebiete für die Arbeiterschaft und ihrer Or-
ganisationen von größter Bedeutung sei Die Arbeiterschaft stehe dieser Wirtschaftsform
nicht feindlich gegenüber, hege jedoch Besorgnis hinsichtlich ihres Einflusses auf die
künftige Lohn- und Preisgestaltung und damit die Lebensführung des Arbeiters, Daher
müsse für eine internationale Kontrolle, etwa durch den Völkerbund, gesorgt werden,
über deren Form und Arbeitsmethode noch nähere Überlegungen anzustellen seien.