V. SPEZIALAUFGABEN.
1. STAND DER ABRÜSTUNGSFRAGE.
Während durch die Annahme des Dawes-Gutachtens die Behandlung der aus der
Reparation sich ergebenden Fragen zu einem gewissen Stillstand kam, entwickelte sich in
den letzten Monaten vor allem wohl auf französisches Betreiben die Durchführung der
Abrüstung zu einer politisch außerordentlich wichtigen Angelegenheit. Wenn es auch nicht
möglich ist, an dieser Stelle Einzelheiten über die zur Zeit schwebenden Verhandlungen
bekanntzugeben, so dürfte doch gerade mit Rücksicht auf in Frage stehende nicht unerheb-
liche Industriebelange eine kurze Darstellung der Entwicklung der Materie nicht ohne
[Interesse sein.
Der die Durchführung der Abrüstung regelnde Teil V des Friedensvertrages — er
beginnt mit den bezeichnenden Worten: „Um die Einleitung einer allgemeinen Rüstungs-
beschränkung aller Nationen zu ermöglichen ...“ — wurde deutscherseits rückhaltlos,
durchgeführt. Das Heer wurde in dem geforderten Maß verkleinert; die Industrie, zu
deren Unterstützung der Reichsverband der Deutschen Industrie die Geschäftsstelle fürr
industrielle Abrüstung gründete, vernichtete das bei ihr Ende 1918 noch in Auftrag befind-
liche Kriegsmaterial, zerstörte ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Nachteile die Anlagen,}
welche nur zur Herstellung von Kriegsgerät gedient hatten, und stellte sich im übrigen —schon \
aus eigenem wirtschaftlichen Interesse — sobald wie möglich vollkommen auf Fabrikation |
von Friedensmaterial um. Diese vom besten Willen, den Friedensvertrag zu erfüllen, ©
diktierten Maßnahmen der deutschen Industrie vermochten unverständlicherweise schr/
häufig die immer neue — mit dem Friedensvertrag nicht in Einklang zu bringende —-
Forderungen stellenden Kontrollkommissionen nicht zu befriedigen.
Die verbandsstaatlichen Offiziere gingen bei zahlreichen u. E. widerrechtlichen
Forderungen offensichtlich von dem Gedanken aus, daß eine große Reihe von Gegenständen,
die ein Heer gebraucht, Kriegsgerät sind, gleichgültig ob das Material in derselben Form auch
für Friedensbetriebe verwandt werden kann; sie erweiterten demgemäß den Begriff Kriegs:
gerät nach Gutdünken und verlangten nun nicht nur die Übergabe derartiger Gegenstände,
soweit sie im Heeresbesitz waren oder für die Armee hergestellt wurden; sie wollten auch
die entsprechende Produktion und Ausfuhr letzten Endes gesetzlich verbieten. Beispiels:
weise hat es Jahre gedauert, bis die verbandsstaatliche Forderung, daß „rollendes und
anderes Material für Schmalspurbahnen“ als Kriegsgerät zu behandeln sei, aufgehoben
wurde; andererseits wird trotz zahlreicher deutscher Gegenvorstellungen verbandsstaat-
licherseits immer noch die Auffassung vertreten, daß u. a. „optische Instrumente für Kriegs:
zwecke“ oder um ein weiteres Beispiel zu nennen „Gegenstände oder Material, welches vor:
bereitet oder roh bearbeitet ist, um für die Herstellung von Kriegsgerät verwendet zu
werden“ Kriegsgerät seien und demgemäß weder hergestellt noch ein: oder ausgeführt
werden dürfen usw.
Auch die verbandsstaatlichen Forderungen auf Zerstörung von Fabrikanlagen,
Maschinen usw. erstreckten sich häufig auf Werkteile, welche für die Herstellung von
Friedensmaterial nicht nur geeignet waren. sondern z.T. unbedingt benötigt wurden.
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