Full text: Sozialpolitik in Österreich 1919 bis 1923

Als wir Sogialdemokraten in der Regierung saßen, 
waren wir nur von dem Gedanken beseelt, wie wir den Staat 
aus seiner Misere heraushelfen und aufbauen. Keinem von 
uns ist es eingefallen, einen Parteigenossen irgendwo unter— 
zubringen. Wenn aber die Praktiken der gegenwärtigen Re— 
gierung weiter geübt werden, mögen die Herren zur Kenntnis 
nehmen, daß, wenn sich das Zeitenrad einmal dreht, auch 
wir von diesem Rechte Gebrauch machen werden. (Lebhafter 
Beifall.) Die von den Christlichsozialen einge— 
schmuggelten Kreaturen mögen sich nicht 
allzu sicher fühlen. Es wird in dem Entwurf weiters 
die Einsetzung einer Kommission verlangt, die unter anderem 
aus drei Vertretern des Nationalrates — von je einem von 
einer Partei — bestehen und darüber entscheiden soll, welche 
Beamten in der Versicherung zu verbleiben haben und welche 
abzubauen sind. Wenn sich die Kommission innerhalb dreier 
Monate nicht einigt, entscheidet das Ministerium für soziale 
Verwaltung selbständig. Dadurch würde in die sogiale Ver— 
waltung das System der Politik hineingetragen werden, da 
jede Partei trachten würde, ihre Leute in der Versicherung zu 
behalten. Weiters sollen die Beamten nur provisorisch für die 
nächsten zwei Jahre angestellt werden, wenn sie auch schon 
zwangzig Jahre dienen, und erst nach zwei Jahren wird aus— 
gesucht, welche Leute definitiv angestellt werden sollen. Das 
sind nur einige Auslesen aus dem Gesetz. Nach diesem Gesetz 
zu schließen muß man die ärgsten Befürchtungen haben, daß 
die Regierung imstande sein könnte, das seit Jahrzehnten müh— 
selig ausgebaute System vollständig zugrunde zu richten und ein 
anderes unbrauchbares, den christlichsozialen Parteiverhältnissen 
entsprechendes System an seine Stelle zu setzen. Es wird die 
Aufgabe der Partei sein, mit Argusaugen darüber zu wachen, 
daß uns von dem Errungenen nichts genommen wird. Eine 
Klasse, die nicht imstande ist, sich das zu erhalten, was sie 
errungen hat, ist nicht wert, es errungen zu haben. (Lebhafter 
Beifall.)
	        
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