Full text: Das Donauproblem in der mitteleuropäischen Wirtschaft

Die neue Wasserstraße wird in solchen Ausmaßen hergestellt, daß der :Schleppzug von 
einem Dampfer und zwei 1500 Tonnenschiffen im Anhang durch die Schleusen gehen 
kann. Die Donau von Kehlheim bis Regensburg wird kanalisiert, die alte Donaubrücke 
in Regensburg wird umgangen, die Donau zwischen Regensburg und Passau reguliert. In 
der Donau bei Passau geht ein gewaltiges Bauwerk, die Kachletstufe, die die gefährliche 
Felsenstrecke zwischen Passau und Vilshofen überstaut, seiner allmählichen Vollendung 
entgegen. Mit der Vollendung dieses Werkes wird der Donaustrom an das deutsche Wasser- 
straßennetz angeschlossen sein. Rheinschiff und Donaukahn werden im Wettbewerb von 
Rotterdam bis Sulina einen großen Teil des Güterverkehres von Europa vermitteln. Die 
Perspektiven, die sich hier eröffnen, lassen sich kaum. übersehen. Erz aus der Steiermark 
kommt zur Verhüttung an die Ruhr, Kali aus Mitteldeutschland zur Hebung der landwirt- 
schaftlichen Produktion nach Ungarn usw. Ein Gebiet von ungefähr 200 Kilometer Breite 
zu beiden Seiten des rund 4500 Kilometer langen durchgehenden Schiffahrtweges wird 
unter dem Einflußkreise dieser Handelsstraße stehen. Die Verbindung des Atlantischen 
Ozeans mit dem Schwarzen Meer, die Verbindung Amerikas mit Asien wird ein wirt- 
schaftliches Ereignis darstellen, das seinesgleichen nur im Panama- und Suezkanal findet. 
Die Verbindung der Donau mit den übrigen Stromgebieten durch künstliche Wasserstraßen 
ist ebenfalls ein Plan, der bis ins graue Mittelalter zurückreicht. Es wurde aber von ihm 
äußerst wenig verwirklicht. Nach dem Weltkriege hat die tschechoslowakische Republik 
die Pläne der Verbindung der Donau mit der Elbe, der Oder und der Weichsel wieder 
aufgenommen und die Regierung hat die Absicht, mit dem Bau zu beginnen, sobald es 
die Verhältnisse gestatten. 
Die Vorbereitungen für die Verwirklichung dieser Wasserstraßenpläne sind schon 
erheblich fortgeschritten. An der Schiffbarmachung der mittleren Elbe, zwischen Melnik 
(Einmündung der Moldau) und Jaromir wird energisch gearbeitet. Die Arbeiten wurden bereits 
1907 aufgenommen und seither ununterbrochen fortgesetzt. Nachdem die Staustufen an 
der unteren Elbe bereits fertiggestellt sind, kann mit der bevorstehenden Aufnahme der 
Arbeiten am Elbe-, Oder- und Donaukanal, die mit zehn Arbeitsjahren veranschlagt sind, 
gerechnet werden. Durch den Ausbau der Verbindungen der Donau mit der Elbe, Oder 
und Weichsel wird sich das Einflußgebiet der Nord- und Ostseehäfen für den Versand von 
Baumwolle, Zucker, Nahrungs- und Düngemittel in das Innere des Festlandes erstrecken, 
das Absatzgebiet der nordböhmischen Braunkohle, der oberschlesischen, Mährisch-Ostrauer 
und westgalizischen Steinkohle wird sich dem Schiffahrtnetze entlang und bis in die 
Alpenländer und die unteren Donaugebiete ausdehnen. Aus dem Einzugsgebiete des 
Schwarzen Meeres und aus dem östlichen Europa wird in reichlicher Menge Getreide, 
Wolle, Petroleum donauaufwärts transportiert und gegen Industrieprodukte ausgetauscht werden. 
Für Ungarn und seine südlichen Nachbarn ist die Donau ein Strom, der für das Wirt- 
schaftsleben dieser Länder in entgegengesetzter Richtung fließt. Die Erzeugnisse der Land- 
wirtschaft und der bodenständigen Industrien gravitieren aus diesen Donaugebieten nach 
vormaligen Bayerischen Staatseisenbahn, auf Veranlassung des Main-Donau-Stromverbandes in den Jahren 
1917/19, auf Grund exakter Berechungen und Untersuchungen ermittelt und dadurch ihre Anziehungs- 
kraft im Wettbewerb mit der Eisenbahn und dem für die Gegend an der unteren Donau konkurrierenden 
Seeweg festgestellt. Das Ergebnis der im Jahre 1920 erschienenen Denkschrift, die im wesentlichen auf 
den Frachtgrundlagen des Jahres 1915 aufgebaut ist, zeigt im einzelnen das gewaltige Einflußgebiet, das 
diese Verbindung vermöge ihrer ausgezeichneten geographischen Lage und ihrer großangelegten Aus- 
maße haben wird, Es erstreckt sich von Holland und Belgien über West- und Süddeutschland, über ganz 
Bayern, ferner über einen großen Teil von Österreich, der Tschechoslowakei, Ungarn und Jugoslawien; 
besonders groB ist ihr Einfluß in Ungarn und Altserbien. In Rumänien und Bulgarien engt der Wett- 
bewerb des Seeweges das Einflußgebiet ein. Immerhin übt die Wasserstraße in Rumänien und Bulgarien 
für den Versand von Getreide nach Frankfurt a. M. noch sehr erhebliche Anziehungskraft aus, sie reicht 
südlich bis zu den Nordabhängen des Balkans, östlich bis nach Schumla und umfaßt in Rumänien die 
Eisenbahnlinie Giurgiu—Bukarest—Ploesti—Campina—Kronstadt. Für Orte, die an der Wasserstraße selbst 
liegen, erweitert sich selbstverständlich das Anziehungsgebiet in den Balkanländern noch erheblich. Die 
Verkehrsspannung drückt sich darin ans, daß sich 48 Prozent des gesamten Verkehres nach Westen und 
52 Prozent des gesamten Verkehres nach Osten bewegen werden.“ Siehe Monatsausgabe Berliner Tage- 
blatt, Dezember 1927.
	        
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