Am 30. November schrieb Legien an Jouhaux:
Lieber Jouhaux!
Ihren an den Genossen Baumeister gerichteten Brief sowie
auch das Schreiben des Genossen Merrheim an den Genossen
Graber habe ich erhalten. Sowohl Baumeister als auch Graber
haben mit meinem Einverständnis an Sie geschrieben. Nur der
Umstand, daß in der Zeit, in der diese Briefe abgesandt wur-
den, die Postverbindung zwischen unseren Ländern nicht funk-
tionierte, gab Veranlassung, in der gewählten Form Schreiben
an Sie gelangen zu lassen.
Sie können überzeugt sein, daß genau dieselben Auffassun-
zen, die Sie in Ihrem Schreiben vom 31. Oktober zum Ausdruck
bringen, auch bei der organisierten Arbeiterschaft Deutschlands
vorhanden sind.
Wir verstehen es vollständig, daß die Arbeiterschaft
Frankreichs genau wie die Deutschlands in dieser kritischen
Zeit bestrebt ist, das Beste des eigenen Landes anzustreben.
Wir verdenken es unseren organisierten Genossen in Frank-
reich nicht, daß sie dies tun, wie ich nach Ihrem Schreiben
wohl annehmen kann, daß auch Ihrerseits wegen des gleichen
Bestrebens uns keine Vorwürfe gemacht werden. Wir haben
bis zum Ausbruch des Krieges alles getan, was in unserer
Macht stand, um den Nationen Europas diese fürchterliche
Katastrophe zu ersparen. Daß wir nicht stark genug waren,
das Unglück zu verhindern, ist bedauerlich, aber sicher nicht
unsere Schuld.
Fs wird mir nicht möglich sein, so gerne ich die von Ihnen
ausgesprochenen Gedanken der Arbeiterklasse zur Kenntnis
bringen möchte, Ihr Schreiben in vollem Wortlaut zu ver-
öffentlichen. Da Sie nämlich ausdrücklich verlangen, daß im
Falle einer Veröffentlichung der Wortlaut vollständig wieder-
gegeben wird, so muß ich zunächst von einer Veröffentlichung
absehen.
Wenn Sie damit einverstanden sind, diese meiner Ueber-
zeugung nach sehr wertvollen Mitteilungen insoweit in unserer
Arbeiterpresse zu veröffentlichen, daß diejenigen Stellen, die
bei unseren Zensurverhältnissen, die so ziemlich die gleichen
sind, wie in Ihrem Lande, nicht passieren können, {fortfallen,
werde ich sehr gerne durch Ihr Schreiben den Beweis liefern,
daß die Auffassungen über die Notwendigkeit der internatio-
nalen Verbindungen bei den gewerkschaftlichen Organisationen
Ihres Landes die gleichen sind wie bei ums.
Welche Maßnahmen getroffen worden sind, um auch wäh-
rend dieser schrecklichen Zeit die Internationalität der Ar-
beiterbewegung nicht ganz verschwinden zu lassen, werden
Sie durch mein letztes Zirkular erfahren haben.
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