Ich hoffe, von Ihnen bald wieder Nachricht zu erhalten
und bin überzeugt, daß, wenn auch die beiden Nationen sich
jetzt feindselig gegenüberstehen, dies nicht entscheidend für
das Verhältnis der beiden Länder und auch nicht für unser
persönliches Verhältnis sein wird. Ich bin der Überzeugung,
daß wir uns nach Beendigung dieses fürchterlichen Krieges
bald wieder zur gemeinsamen Arbeit, zur Verbesserung der
Lage der Arbeiterklasse, zusammenfinden können.
Mit brüderlichem Gruß!
In ähnlicher freundschaftlicher Weise schrieb Legien am
5. Dezember an Appleton.
Dies ist in den Hauptzügen der Briefwechsel des ersten
Kriegsjahres zwischen dem Vorsitzenden des Internationalen
Gewerkschaftsbundes, der zugleich Vorsitzender der deutschen
Gewerkschaften war, und den Gewerksschaftszentralen der-
jenigen Länder, mit denen Deutschland sich im Kriege befand.
Jedermann muß anerkennen, daß die Gefühle, die hier zum
Ausdruck gebracht wurden, fernab von jeder Kriegsbegeiste-
rung und jedem kleinlichen Haß sind und daß die Gewerk-
schaften ein Recht darauf haben, sich der Stellung ihrer be-
rufenen Vertreter zu freuen. Wenn im weiteren Verlauf des
Krieges auch andere Worte gehört wurden, und zwar meistens
von weniger berufenen Personen, so hängt dies auch damit
zusammen, daß die Kriegshetze der Presse in allen Ländern
die Luft verpestete und daß nicht nur persönliche Aussprachen,
sondern auch geregelter schriftlicher Verkehr durch die krieg-
führenden Mächte unmöglich gemacht wurden.
Verlegung des Sitzes des Internationalen
Gewerkschaftsbundes
Von der Begründung des Internationalen Gewerkschafts-
bundes im Jahre 1901 bis zur Internationalen Konferenz des
Jahres 1913 war noch niemals der Gedanke aufgetaucht, den
Sitz des Bundes aus Deutschland zu verlegen. Daß nach Aus-
bruch des Krieges von der einen oder anderen Seite eine solche
Anregung kommen würde, war vorauszusehen. Der Antrag,
den Sitz nicht nach einem neutralen Lande, sondern von Berlin
nach London zu verlegen, mußte jedoch Verwunderung erregen.
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