Full text: Wahrscheinlichkeit, Statistik und Wahrheit

Worterklärungen 
den Gedanken verfallen, in einem deutschen Wörterbuch nach- 
zusehen, was eigentlich das Wort „wahrscheinlich‘‘ bedeutet. 
Im dreizehnten Bande von Jakob und Wilhelm Grimm finden 
wir spaltenlange Auskunft. Es heißt da zur Worterklärung: 
Probabilis, in alter Zeit „der Wahrheit gleich‘ oder „der Wahr- 
heit ähnlich“, dann „mit einem Schein der Wahrheit“, erst seit 
der Mitte des 17, Jahrhunderts „wahrscheinlich‘‘; im Englischen 
heute noch verylike neben probable. Es folgen eine ganze 
Reihe von Belegstellen, in denen der Gebrauch des Wortes, meist 
der bei Philosophen, erklärt wird. Ich gebe nur einiges wieder: 
„Weil die Wahrscheinlichkeit etwas ist, so zwischen dem Wahren 
und Falschen gleichsam mitten inne ist“, sagt Thomasius 1688, 
„Wahrscheinlich heißt die Einsicht, wovon das Gegenteil nicht 
gänzlich widersprechend oder unmöglich ist‘, so lehrt Reimarus 
in seiner Vernunftlehre. Und der große Kant: „Wahrscheinlich 
heißt dasjenige, was für wahr gehalten, mehr als die Hälfte der 
Gewißheit auf seiner Seite hat.‘ Vielleicht hat darnach jemand 
noch den Wunsch, zu hören, was die heutige Philosophie als 
Frucht ihrer jahrhundertelangen Entwicklung zu der Sache zu 
sagen weiß. Ich führe daher hier wörtlich an, was ich in Robert 
Kislers Wörterbuch der philosophischen Begriffe von 1910 ge- 
funden habe: „Wahrscheinlichkeit ist (subjektiv) ein Grad der 
Gewißheit, beruhend auf starken oder überwiegenden Motiven 
zum Urteilen, so aber, daß diesen Motiven immerhin noch andere 
gegenüberstehen, die berücksichtigt werden wollen oder sollen; 
objektiv wahrscheinlich ist das, was, auf eine Reihe von (objekti- 
ven) Gründen gestützt, das Denken als wahr anzunehmen, zu 
erwarten sich mit gewisser Zuversicht berechtigt weiß. Je 
nach der Art und Menge der Gründe oder Instanzen, auf die 
sich das Wahrscheinlichkeitsurteil und der Wahrscheinlich- 
keitsschluß stützt, gibt es verschiedene Grade der Wahrschein- 
lichkeit .“* 
Nun, über Wert oder Unwert dieser und ähnlicher „philoso- 
phischer‘““ Erklärungen läßt sich nicht streiten. Sie bestehen 
stets darin, daß ein Wort durch andere, meist durch sehr viele 
andere, ersetzt wird. Wem die letzteren geläufiger sind als 
das erste, mag in der Gleichsetzung eine Erklärung sehen, ein 
anderer wird es jedenfalls nicht können. Wenn jemand besser 
versteht, was es heißt, „mehr als die Hälfte der Gewißheit auf
	        
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