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Kultur stölßst nun aber offenbar sehr häufig an Natur. Ist doch
die Kultur aus Seele, Geist und Körper aufgebaut, ist doch
alles menschliche Handeln in den Zusammenhang des natürlichen
Geschehens verkettet! Alle Kultur, und nicht zuletzt die Wirtschaft,
wird bestimmt durch Rasse, Volkscharakter, Vererbung, Klima,
Boden, Naturereignisse aller Art. Überall dort nun, wo wir diese
natürlichen Gegebenheiten nur als Anlaß oder Bedingung mensech-
licher Motive betrachten — etwa das Klima als bestimmenden Um-
stand bei der Entfaltung des Willens zur Arbeit —, mögen sie dazu
beitragen, menschliches Handeln verständlich zu machen. Aber das
Verstehen setzt auch hier Verstehen der Motive voraus. Wo dieses
Zwischenglied fehlt, nützt uns auch die zuverlässigste Statistik nichts,
um Zusammenhänge zwischen Seele oder Geist und Natur uns ver-
ständlich zu machen. „Fehlt die Sinnadäquenz, ‚dann liegt selbst bei
größter und zahlenmäßig in ihrer Wahrscheinlichkeit angebbarer
Regelmäßigkeit des Ablaufs (des äußeren sowohl wie des psychi-
schen) nur eine unverstehbare (oder nur unvollkommen versteh-
bare) statistische Wahrscheinlichkeit vor.‘“102 )
‚Wie deshalb die Häufung statistischer Angaben so lange keinen
Wert oder doch höchstens einen vorläufigen Wert hat, solange mit
Hilfe anderer Quellen die zugrunde liegenden Erscheinungen nicht
verstehbar gemacht werden, hat unlängst wieder Ferdinand Tön-
nies urteilsvoll dargelegt10s. ;
Wie wir uns als Nationalökonomen in solchen Fällen, in denen
wir auf die Einflüsse von Naturtatsachen stoßen, zu verhalten haben,
werde ich im sechzehnten Kapitel zeigen.
Auf der anderen Seite stößt das Verstehen an Grenzen nach oben
hin. Sie liegen dort, wo der Bereich der Erfahrung und des evidenten
und mitteilbaren Erlebnisses überschritten wird und der Gedanke vor-
dringt in das Reich des Absoluten, also überall dort, wo der Sinn-
zusammenhang über den immanenten Sinn der Kulturideen hinaus
auf ihren transzendenten Sinn hinweist: wir vermögen zwar zu ver-
stehen, was Wirtschaft ist, aber nicht mehr, was Wirtschaft soll.
Denn um das zu verstehen, müßten wir eines Gottes Geist haben,
192 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. A. a. O0. S. 5/6.
"03 .Ferd, Tönnies; Statistik und Soziographie im Allgem: Statist. Archiv,
Bd. 18. 1929. S. 546£.