$ 9. Beispiele aus der handelspolitischen Praxis. 41
schwert wird. Dies kann aber auch durch eine willkürliche Speziali-
sierung des Zolltarifs geschehen.
Willkürlich ist die Spezialisierung dann, wenn Sondermerkmale
einer Ware des dritten Staates zur Voraussetzung einer Zollermäßigung
gemacht werden, obwohl sie diese Ermäßigung wirtschaftlich nicht
rechtfertigen. Wenn z.B. zur Voraussetzung für eine zollbegünstigte
Vieheinfuhr der Umstand gemacht wird, daß das Vieh sich während
des Sommers auf Bergweiden in bestimmter Höhe befunden hat, so
liegt darin unverkennbar eine Erschwerung der Konkurrenzbedingungen
für die gleichartige Vieheinfuhr solcher Länder, in denen es Bergweiden
in der geforderten Höhe gar nicht gibt.
Rußland bildete vor dem Kriege zugunsten Österreich-Ungarns aus
der Tarifposition ‚Mineralwasser‘ eine Exposition ‚„,‚Karlsbader Mineral-
wasser‘“1 und schloß die Mineralwassereinfuhr der übrigen berechtigten
Länder von dieser Vergünstigung aus. Auch in diesem Falle liegt eine
Verletzung der Meistbegünstigung vor, allerdings nur bezüglich der
Mineralwasserarten, welche tatsächlich mit dem ‚„Karlsbader‘“ kon-
kurrieren. Die anderen Arten werden durch eine Herabsetzung des
Zolles für ‚„,‚Karlsbader‘“ gar nicht betroffen. Immer kommt es für die
Beurteilung derartiger Fälle darauf an, ob die Exposition wirtschaftlich
begründet ist oder ob sie dazu dient, Meistbegünstigungsansprüche ab-
zuschneiden?.
Es steht also nicht im Belieben des verpflichteten Staates, durch
Zollpositionen und Expositionen festzusetzen, welche Waren „gleiche“
(identique, semblable) sind und somit von ihm gleichbehandelt werden
müssen, sondern er ist dabei an einen objektiven Vergleichsmaßstab
gebunden. Vom Standpunkt der Zollbehandlung sind Waren dann
gleich, wenn die sie unterscheidenden Sondermerkmale wirtschaftlich
keine unterschiedliche Zollbehandlung rechtfertigen. Es beurteilt sich
dies nach dem System des Zolltarifs, insbesondere nach den Prinzipien,
welche der Staffelung der Zollsätze in dem betreffenden Abschnitte
1 Wenn der Ursprung einer Ware für sie keine sachliche Charakterisierung be-
deutet, kann er selbstverständlich im Zolltarif nicht mit Wirkung gegenüber dem
berechtigten Staate zur Voraussetzung einer Ermäßigung gemacht werden. Eine
Exposition z. B. für „Vieh, das aus österreichischen Gebieten eingeht‘, können
berechtigte Staaten daher auch ohne weiteres für ihre Vieheinfuhr beanspruchen.
Einwandfrei sind dagegen wohl die Expositionen für ‚‚Dessertweine von Xeres,
Malaga, Tarragona usw.‘; Edamer Käse, Marseiller Seife (aus Olivenöl!)
% Eine Reihe weiterer Beispiele derartiger Umgehungen der Meistbegünsti-
zungsklausel, die jedoch rechtlich nicht anders als die bereits erwähnten Fälle zu
beurteilen sind, führt MEINE a. a. O. S. 77 ff. an. Er meint, daß sie zwar eine
Beschränkung der Meistbegünstigungsklausel, jedoch ‚unter voller Aufrecht-
erhaltung ihres rechtlichen Begriffes‘‘ sei. Dieser Standpunkt folgt aus der hier ab-
gelehnten allzu formalistischen Auffassung der Meistbegünstigung.