Full text: Die Tarifreform von 1879

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Eisenzölle einen besonders günstigen Vorwand, und in der stei 
genden Nothlage dieses alten, ausgedehnten Gewerbes gewann 
sie ein Argument, welches bald eine gefährliche Popularität 
erlangte, so dass die Schutzzollpartei den noch dazu im An 
fang sehr lässig betriebenen freihändlerischen Agitationen, in 
der öffentlichen Meinung den Vorsprung abzugewinnen begann. 
Dann schaarten sich die alten Bundesgenossen, in erster Linie 
die Baumwollspinner, zu den Eisenindustriellen und, von der 
Noth zu energischem Handeln angestachelt und von grossen 
Geldmitteln unterstützt, bildeten sich Vereins-Organisationen, 
welche im Jahr 1879 thatsächlich einen Einfluss auf Regierung, 
Parlament und öffentliche Meinung erlangten, wie dies in 
wirtschaftlichen Fragen bisher in Deutschland auch nicht an 
nähernd erlebt worden war und hoffentlich niemals wieder er 
lebt werden wird. Es wäre indess ein grosser Irrthum anzu 
nehmen, als ob sich die ganze deutsche Industrie an den 
Schutzzollbestrebungen von 1879 betheiligt hätte; ein grosser 
Theil, und der gesummte Arbeiterstand, verhielten sich apathisch, 
ein anderer bedeutender Theil, insbesondere die auf den Ex 
port angewiesenen Industrien, sogar entschieden gegnerisch. 
Der von Ultramontanen, Eisenindustriellen und Spinnern beru 
fenen schutzzöllnerischen Versammlung auf dem Gürzenich, trat 
bald darauf in Elberfeld eine weit bedeutendere Versammlung 
von industriellen Gegnern der Tarifreform entgegen. Crefeld, 
Elberfeld, Barmen, Berlin, also Industriebezirke ersten Ranges, 
verharrten überwiegend bei den früheren freisinnigen Grund 
sätzen des Tarifs von 1870. Die Schutzzollbewegung hatte ihre 
Haupstütze in der Fabrikation der Halbfabrikate, ihre Haupt 
gegner in der Fabrikation von fertigen Waaren und namentlich 
von Exportartikeln. Doch hier, wie immer, erlangten die rührigen 
Minoritäten bald den überwiegenden Einfluss. 
Dennoch würden diese Bestrebungen der durch die Krisis 
bedrängten Industriellen, nur zu vereinzelten Erfolgen, vielleicht 
zur Erhöhung von einem halben Dutzend Zollsätzen geführt 
haben, wenn sich nicht gleichzeitig, in überraschender Weise, 
ein vollständiger Umschwung in der hergebrachten Stellung 
der conservation Gutsbesitzer und der Reichs-Regierung zur 
Zollfrage vollzogen hätte.
	        
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