Full text: Die Tarifreform von 1879

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politik zu erwarten. Es wäre deshalb ein grosser taktischer 
Fehler den Angriff zu überstürzen. Zum allgemeinen Angriff 
kann keinenfalls vor den nächsten Wahlen übergegangen 
werden; und ob dann noch, ist fraglich, und hängt von den 
verschiedensten Konstellationen ab. Die Zeit bis dahin kann 
nur zur Einleitung und Vorbereitung des allgemeinen Angriffs 
und zur thunlichsten Beseitigung einzelner, besonders unerträg 
licher Härten des neuen Tarifs, insbesondere aber zum Kampf 
gegen die agrarischen Zölle, benutzt werden, der keinen Augen 
blick ruhen darf. 
Will man überhaupt auf solchen Kampfesgebieten etwas 
erreichen, so muss man die Ziele nicht allzuweit stecken. Wir 
haben oben die Aufnahme des agrarischen Schutzsystems, 
als den wirtschaftlich und social bedenklichsten Theil des Re 
formwerks bezeichnet, gegen welchen der Nachtheil eines in 
dustriellen Schutzsystems, wie es seit 60 Jahren das Bürger 
recht bei uns hatte, prinzipiell und materiell weit zurücktritt. 
Es sollte also zunächst der Angriff auf die Getreide-, Vieh- 
und Holzzölle konzentrirt werden, vor Allem aber auf den 
übertrieben hohen Koggenzo 11, den Schlüssel der agrarischen 
Position. Man darf sich nicht verhehlen, wie dieser Angriff 
ein sehr schwieriger sein wird. Allein schon die nächste Zeit 
dürfte uns, bei dem eingetretenen bedeutenden Steigen der Ge 
treidepreise, in der erregten Volksstimmung einen mächtigen 
Bundesgenossen zuftlhren, seihst wenn jede illoyale Agitation 
verschmäht wird. Und in nicht allzuferner Zeit muss, aus 
den Reihen der Grundbesitzer selbst, eine Ruckströmung zu 
den alten, auf sechzigjähriger Erkenntniss ihrer Interessen be 
ruhenden wirtschaftlichen Anschauungen stattfinden. Die Bauern 
werden vielleicht die ersten sein, welche die Bedeutungslosig 
keit der agrarischen Zölle für ihre Interessen, und den Schaden 
der erhöhten industriellen Zölle einseben. Ob die, durch die 
Versprechung agrarischer Zölle, den Liberalen abgenommenen 
Parlamentssitze lange in den Händen der konservativen Guts 
besitzer bleiben werden, wird deshalb auch zu bezweifeln sein. 
Den kleinen Besitzern dürften sich bald die, beim Getreide 
export interessirten Grundbesitzer der östlichen und nördlichen 
Gebietsteile zugesellen, denen die Getreidezölle am wenigsten
	        
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