Full text: Die Tarifreform von 1879

z. B. gegen 30 Grossgrundbesitzer gegen den Mirbach’scben 
Roggenzoll und von den Industriellen über ein Drittel gegen 
die meisten Schutzzölle und gegen den ganzen Tarif. 
Mit noch grösserer Milde sind aber die Agitationen der 
Interessentengruppen zu beurtheilen, die in der That direkt 
aus dem wachsenden Notbstand ihren Ursprung herleiten. Der 
Richter ist verantwortlich, der Parteianwalt nicht; er trägt vor, 
was zu Gunsten seiner Clienten spricht. Ueberdies hatten die 
ersten Anstifter der ganzen Schutzzollbewegung, die Eiseniu- 
dustriellen, wie bereits erwähnt, von dem Standpunkt des im 
Uebrigen in Kraft gebliebenen Industrie-Schutzsystems aus, eine 
gewisse Berechtigung für ihre Ansprüche. Und wenn später 
den, von der Krisis am stärksten betroffenen Gewerben, sich 
auch diejenigen anschlossen, welche niemals vorher an Schutz 
gedacht hatten, wenn schliesslich auf einer ganzen Linie von 
Industrien der Anspruch geltend gemacht wurde: „man wolle 
auch etwas vom Schutzzoll mithaben, weil Andere davon be 
kämen“ (ein Anspruch, dessen Berechtigung sich von den 
Vätern der Tarifreform von 1879 prinzipiell gar nicht abweisen 
liess), — wer kann dies auffallend oder gar unrecht finden? 
Die früher den Zollverein leitende preussische Bureaukratie 
hatte sich den Privatinteressenten gegenüber stets ziemlich 
schroff und unzugänglich gezeigt, hatte deren Versicherungen 
von drohendem Ruin, verhungernden Arbeitern, vollständiger 
Vernichtung ganzer Gewerbszweige u. s. w., nur sehr bedingungs 
weise Glauben geschenkt. Nun kommt auf einmal der freund 
liche, liebenswürdige Herr von Varnbüler aus Wurtemberg 
daher, Schutzzöllner von ächt süddeutscher Färbung. Die Inter 
essenten finden zum erstenmal ein offenes Ohr für ihre Klagen, 
eine unentweihte Gläubigkeit für ihre Behauptungen. Sie ge 
wahren plötzlich, wie sie Einfluss erlangen, ja schliesslich von 
der Tarif-Kommission als vollberechtigte Paciscenten angesehen 
werden. Zollsätze, welche die Interessenten wünschen, Vor 
schlägen, spielen zum erstenmal eine Rolle bei den Entschei 
dungen, — die Parteien sprechen zum erstenmal mit. Und 
dass hierbei, und mit der fortschreitenden Nachgiebigkeit in 
immer stärkerem Maasse, übertriebene Anforderungen, auf Grund 
gefärbter oder gar absolut falscher Darstellungen durchgesetzt
	        
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